Salzkorn: Verunsicherungsvirus
Die letzten Wochen des abgehalfterten Jahres haben wieder einmal bewiesen, wie wichtig Traditionen sind. Zuverlässige Garanten für den Zusammenhalt der Gemeinschaft über Jahrzehnte oder gar -hunderte im courant normal. Wird aus triftigen Gründen davon abgewichen, regt sich der Widerstand: «S isch immer äso gsii.»
Im Sommer schon die Diskussion über die Durchführung des Manövers, im Winter dann die Beleuchtung der Rathausgasse, den Weihnachtsbaumschmuck im Sodbrunnen, den Verzicht auf Adventsfenster im Angelrainschulhaus, die Beleuchtung von Schloss und andern repräsentativen Residenzen und so weiter. Profitiert haben von der Verdunkelung hingegen Joggeli und Räbeliechtli.
Lenzburg ist glücklicherweise reichlich gesegnet mit traditionellem Brauchtum auf breiter kultureller Basis, wie in den Lenzburger Neujahrsblättern ausführlich geschildert wird. Jugendfest und Chlausklöpfen sind sogar in der Unesco-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes aufgelistet. Fachmann-Professor Walter Leimgruber plädiert allerdings dafür, dass sich Kulturformen schon wegen der Globalisierung durchaus verändern dürfen. In diesem Sinne ist lokal der erfolgreich neu lancierte Lenzburger Lichterweg dem Bach entlang durchaus legal.
Zu Traditionen gehört auf persönlichem Level auch die ganz gewöhnliche Gewohnheit. Die Ausnahmestrategien in der Pandemie, die rasende Technisierung, die allgemeine politische Unsicherheit auf Erden, der Klimawandel: Wenig ist so, wie es eben noch war. Die allgemeine Verunsicherung ist auch ein Virus. Und das gilt erst recht für das neue Jahr.
Tradition ist aber immer noch, sich gute Vorsätze für die Zukunft zu fassen. Das heisst, Gewohnheiten zu verändern, Neustart zu wagen. Ich wünsche Ihnen für 2023 Glück und Durchhaltewillen.