Salzkorn: Stadtgefühl
Nächstes Jahr werde ich 40. Und genau so lange lebe ich in Lenzburg. Seit einem halben Jahr wieder an der gleichen Strasse, wo ich schon in meiner Kindheit wohnte.
Am letzten Sonntag war der Himmel bedeckt. Gute klimatische Bedingungen also, um das Quartier abzulaufen. So spazierte ich der Wiese entlang, auf der ich als Kind schlittelte. Heute stehen zwei grosse Wohnblocks darauf und man bräuchte viel Geschick, um bei Schnee darum herum zu schlitteln. Am Ende des Wegs steht ein neuer, mehrstöckiger Wohnkomplex. Aus dem ehemaligen Nachbarhaus meiner Eltern wurde ein Mehrfamilienhaus.
Lenzburg wächst. In meinem Geburtsjahr lebten hier 7500 Einwohner. Ende des vergangenen Jahres 11 000. Das sind 3500 Menschen mehr. Oder anders: Lenzburg ist um rund die Hälfte gewachsen.
Mir persönlich bringt dieses Wachstum wenig. Vor allem sind es mehr Leute am Bahnhof, auf den Strassen, beim Einkaufen und sogar im Wald. Klar ist mir aber auch: Das Wachstum zeigt Prosperität. Es zeigt, dass Lenzburg attraktiv ist. Wir haben eine hohe Lebensqualität.
Ich habe das Gefühl, dass sich Lenzburg gerade gründlich wandelt. Das fällt mir jetzt auf, da ich wieder die Wege meiner Kindheit ablaufe. Ich habe nicht mehr das Gefühl, alle und jeden zu kennen. Auch nicht dem Hörensagen nach. Und ich weiss, dass es mir auch mit Anstrengung nicht gelingen wird, jeden und jede zu kennen.
Am Bahnhof fühle ich mich grossstädtisch. Nur dumm, dass ich dem Kleinstädtischen nachtrauere.
Im August 1306 verlieh Herzog Friedrich von Österreich Lenzburg das Stadtrecht. 2006 fand zum 700-Jahr-Jubiläum das grosse Stadtfest «lenzburg findet stadt» statt – damals hatte die Stadt noch immer weniger als 8000 Einwohner. Ich finde, so richtig zur Stadt werden wir erst jetzt mit 11 000 Lenzburgerinnen und Lenzburgern.