Lenzburg hat eine starke Persönlichkeit verloren
Nachruf «Ich lebe, solange ich koche, und ich koche, solange ich lebe.» Nun, an der Brunnmattstrasse 23 in Lenzburg kann Rosmarie Zobrist-Kuhn nicht mehr kochen. Sie ist am Sonntag, den 18. Dezember, im Alter von 94 Jahren gestorben. Sie war Politikerin, Frauenrechtlerin, Hauswirtschaftslehrerin, Katechetin, Synodalin, Kolumnistin, Seniorenmobilfahrerin und Gesprächspartnerin.
Doch die Aufzählung auf der Todesanzeige ist unvollständig. Sie war aber auch Ehefrau und Mutter. Mit ihrem selber verfassten Lebenslauf/Lebensbild nahm sie die Teilnehmenden am Abschiedsgottesdienst mit auf den abgeschlossenen Lebensweg:
«Als ich in der Nacht zum 31. März 1928 geboren wurde, bildete ich für meine Eltern eine Enttäuschung. Leider war ich nicht der ersehnte Sohn und auch nicht ein herziges Maiteli wie meine Schwester.» Und als Rosmarie ein paar Jahre alt war, wurde sie Mutters böses Kind: Nie artig und dankbar, wenn ihr eine liebe Tante ein Malbüchlein schenkte. Die Mutter fand die Kleine ein eigenes Kind und lebte in der Sorge, ob sie je in einer Normalschule durchkommen würde. In der Ostschweiz führte eine Freundin der Mutter als Nonne eine Internatsschule für leicht geistig behinderte Kinder. Die Mutter nahm vorsorglicherweise Kontakt mit ihr auf.
Die Befürchtung erwies sich als unbegründet: Rosmarie ging mit Begeisterung zur Schule. Als sie lesen gelernt hatte, las sie in kurzer Zeit die Schulbibliothek der Unterstufe durch und anschliessend die Pfarreibibliothek. Rosmarie liebte die Menschen, die Sprachen, die Natur. Am Hauswirtschaftslehrerinnenseminar in Zürich legte sie den Grundstein des beruflichen Wirkens.
Gelegentlich ging sie mit dem etwas struppigen Studenten und Doktoranden namens Fritz Zobrist auf den Tanz. 1957, an einem Julitag voller Hitze, Blitz und Donner, haben Fritz Zobrist, der Forscher im Bereich Uhrenöl, und Rosmarie, die ursprüngliche Freiämterin, in Aarau geheiratet. 1963 kam der Sohn Samuel auf die Welt, 1966 die Tochter Agatha.
Die Verstorbene diente als Hauswirtschaftslehrerin, als Inspektorin, setzte sich mit voller Kraft für das Frauenstimmrecht ein, nutzte ihre reichen Talente in der kommunalen Politik, als Katechetin, Synodalin, Märchenerzählerin und Kolumnistin.
«In der Rückschau denke ich, ich hätte so vieles besser machen können in meiner beruflichen Tätigkeit, wenn ich nur einen Teil der Einsichten von heute gehabt hätte. Aber vielleicht hätte ich heute nicht mehr die gleiche Energie und Unbekümmertheit», findet Rosmarie.
1978 traf die Familie ein schwerer Schlag. Der Vater erlitt eine Hirnblutung und war von dem Moment an ein veränderter Mensch. Das Zusammenleben wurde immer beschwerlicher. Nach elf Jahren schwierigen Daseins kaufte sie sich das kleine Haus Brunnmattstrasse 23. Sie konnte fortan das Leben unbelasteter angehen, versorgte aber pflichtbewusst ihren Mann als eine Spitexfrau der besonderen Art. Fritz Zobrist starb 1992.
Gelegentlich hat Rosmarie Zobrist den Lebenslauf überarbeitet und ergänzt. Sie freute sich immer, dass sie noch da war, jeweils am ersten Tag des restlichen Lebens. (AG)