Gedicht: Lenzburg
Die steinernen Stufen der Himmelsleiter
steigen wir hoch,
und auch heute zählen wir sie wieder,
die vielen Tritte bis zum Gofi,
halten oben bei der Holzbank kurz inne,
kommen mal für mal auf
eine andere Zahl,
doch was solls,
die Rundsicht ist einzigartig,
wir sehen das Schloss,
den Staufberg,
blicken hinunter zur Altstadt,
die Sonne wärmt uns ein letztes Mal,
Blätter wirbeln umher,
allmählich wird es kühler,
wir folgen dem Wanderweg auf dem Plateau,
lassen uns von letzten Strahlen erwärmen,
bald führt der Pfad im Schatten wieder hinunter,
die Stufen sind glitschig und
mit nassem Laub bedeckt,
wir kehren dem Schlossberg den Rücken,
eilen zurück in die Stadt,
da sagst du,
komm,
lass uns noch einmal hochgehen,
noch einmal, bitte,
vielleicht ein letztes Mal dieses Jahr,
komm,
ich möchte noch einmal hoch,
bald wird es dunkel,
aber es hat gerade letztes Licht,
und so lenke ich ein,
und wir eilen hoch zum Schloss,
da öffnest du bereits das Tor zur Himmelsleiter und
gehst voran,
zählst innerlich wohl schon die Stufen,
während ich mich ganz
auf den Pfad konzentriere,
die Dunkelheit umgibt uns,
ein kühler Abendwind weht,
oben angekommen,
sagst du,
wieder anders,
und du?
Und ich?
Na ja, ich habe die Stufen gar nicht gezählt,
aber schau,
ich zähle jetzt die Sterne,
eins, zwei, drei, vier … und
noch viele mehr tanzen am Himmel,
aber kein Mensch mehr hier oben,
nur noch wir beide und
viele Sterne und
der Gofi,
die vielen Stufen,
die wir nun gleich hinuntergehen,
ich halte dich an der Hand,
und während wir gehen,
sagst du ganz leise,
so, jetzt lasse ich das auch sein,
dieses unnütze Zählen,
ich möchte möglichst schnell nach Hause,
Tee trinken und
eine Kerze anzünden,
sie soll unser Stern sein für die Nacht.
Thomas Greber ist Kantonsschullehrer und Autor. Er wohnt in Lenzburg.