Wegweisende, avantgardistische Malerei von Urech-Seon
Den vielen Gesichtern des bis zuletzt isoliert arbeitenden Künstlers wird mit der Neuerscheinung «Rudolf Urech-Seon (1876–1959); Tritt in die Neuzeit» erstmals eine umfassende Monografie gerecht.
Nachdem das Aargauer Kunsthaus 1991 dem Pionier der abstrakt-konkreten Kunst eine grosse Retrospektive gewidmet und die damalige Galerie Aquatinta in Lenzburg 2009 die jüngste Einzelausstellung Urechs im Aargau gezeigt hatte, liegt jetzt endlich ein kunstwissenschaftlich fundiertes, 428 Seiten starkes Referenzwerk über den schon früh wegweisenden Maler vor.
Originelle Grafik
Herausgegeben wurde es von Daniel Gutscher, Enkel des Künstlers, Kunsthistoriker und Kurator von Urechs Nachlass, in Zusammenarbeit mit Christian Herren. Die weiteren Texte stammen von Stephan Kunz (Kunsthistoriker und Direktor des Bündner Kunstmuseums), Matthias Dieterle (Heilpädagoge und Schriftsteller) und Philipp Emch (Journalist und Philosoph).
Dank der originellen grafischen Gestaltung durch Anatol Comte präsentiert sich das auf rund 400 kleinformatige Abbildungen konzentrierte Buch als eigentliches Kunstwerk.
Treue zum Geburtsort
Seinem Geburtsort Seon blieb der zuerst als Flachmaler ausgebildete Künstler bis zum Lebensende treu. Motive aus der näheren Umgebung durchziehen das von Landschaften dominierte Frühwerk. Zeugen Ölbilder wie «Lichte Bäume im Schnee» oder «Hügelgelände bei Leutwil» noch von seiner Auseinandersetzung mit Cuno Amiet, so macht sich in den Selbstbildnissen der Einfluss von Hodler bemerkbar.
Die zunehmende Formvereinfachung, die seit den 1930er-Jahren von eigenwilliger Geometrisierung der Farbflächen begleitet wurde, führte Urech-Seon auf einen vielversprechenden Mittelweg zwischen Purismus und Konstruktivismus. Schon ein Jahrzehnt später drangen surrealistische Elemente in die bereits sehr persönliche Bildsprache ein.
Eigenständige Abstraktion
Mit schlicht «Composition» betitelten abstrakten Gemälden, deren geometrische Formenwelt und Beschränkung auf wenige Farben im grössten Gegensatz zur traditionellen Landschaftsmalerei der damals führenden Aargauer Maler mit ihrem verspäteten Kolorismus standen, wurde Urech-Seon zum irritierenden Aussenseiter.
Matthias Dieterle formulierte dazu in seinen «Gedanken» treffend: «Er vereinsamte sich im Bild.» Auf Veranlassung von Richard Paul Lohse war Urech-Seon 1947 in die «Allianz. Vereinigung moderner Schweizer Künstler» aufgenommen worden. Aus der Geschichte der abstrakten Kunst in der Schweiz ist er als mutiger Einzelgänger heute nicht mehr wegzudenken.
Rudolf Urech-Seon (1876–1959); «Tritt in die Neuzeit». Herausgegeben von Daniel Gutscher und Christian Herren. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2017. 428 Seiten, 59 Franken.