«Fädlikinder» beschreibt Missstände

Seon Die Autorin Bernadette Zemp stellte in der Mühle Seon ihr neues Buch «Fädlikinder» vor. Es handelt von der Ausnutzung von Kindern in der Schweizer Textilindustrie im 19. Jahrhundert.

Buchvernissage in der Seoner Mühle: Moderator Hans Ineichen mit «Fädlikinder»-Autorin Bernadette Zemp. Foto: Andreas Walker
Buchvernissage in der Seoner Mühle: Moderator Hans Ineichen mit «Fädlikinder»-Autorin Bernadette Zemp. Foto: Andreas Walker

Als die Textilindustrie in der Schweiz im 19. Jahrhundert ihren Durchbruch erlebte, waren Kinder in Spinnereien beliebte Arbeitskräfte, die systematisch ausgebeutet wurden. Unter miserablen Bedingungen mussten Kinder ab 6 Jahren über 12 Stunden am Tag für einen Hungerlohn von 60 bis 65 Rappen pro Tag schuften.

Die Not war in dieser Zeit so gross, dass vielen Familien nichts anderes übrig blieb, als ihre Kinder in die Fabrik zu schicken, damit sie über die Runden kamen.

Ausgenützten eine Stimme geben

Die Geschichte aus dem Buch «Fädlikinder» ist wahr. Die Mutter von Olga Meyer wuchs unter widrigen Umständen auf und musste um 1870 in einer Spinnerei im Tösstal arbeiten.

Deshalb hat Bernadette Zemp einige Abschnitte aus Meyers Buch «Anneli kämpft um Sonne und Freiheit», erschienen 1927, wiedergegeben, um Anneli Lüssi eine Stimme zu geben.

Die Mühle in Seon für die Buchvernissage war perfekt gewählt. Die Autorin und Besitzerin der Mühle erinnerte daran, dass sich in unmittelbarer Nähe auf der gegenüberliegenden Seite des Aabachs eine Spinnerei der Gebrüder Urech von Seon befand, wo um das Jahr 1840 etwa ein Dutzend Zehn- bis Zwölfjährige arbeiten musste.

Kinderarbeit zu einem hohen Preis

Die Kinder waren in Spinnereien begehrte Arbeitskräfte, weil nur sie mit ihren kleinen Händen diverse Arbeiten ausführen konnten, wie etwa die gerissenen Fäden an den Spulen wieder zusammenfügen, ohne dass die Maschinen abgestellt werden mussten.

Doch der Preis dafür war sehr hoch. Die Folgen dieser Arbeit war «ein an Leib und Geist verkrüppeltes Zwerggeschlecht, das aus den Spinnhöhlen hervorgeht; Knaben und Mädchen, die im Alter von 16 bis 17 Jahren kaum die Grösse von Kindern von 9 bis 10 Jahren erreichen, der Wachstumssäfte durch anhaltende Anstrengung beraubt und schon durch die hektische Gesichtsfarbe von der Auszehrung gekennzeichnet» (Zitat aus Max Baumann, 1983, Geschichte von Windisch vom Mittelalter zur Neuzeit, Brugg).

Düsteres Kapitel

Das düstere Kapitel der «Fädlikinder» weist Parallelen zu den Verdingkindern auf, die in der Schweiz bis in die 1960er-Jahre oft unter übelsten Bedingungen ausgebeutet und teilweise misshandelt wurden.

Bernadette Zemp erklärt: «Ich suche Nachkommen der ‹Fädlikinder›, die mir aus dieser düsteren Zeit noch erzählen könnten. Ich will diesen Kindern eine Stimme geben.»

Das Buch «Fädlikinder» kämpft als Zeitdokument gegen das Vergessen an; dieses düstere Kapitel in der Geschichte soll nicht einfach totgeschwiegen werden. Noch heute sind weltweit rund 160 Millionen Kinder zwischen 5 und 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen. Durch die Coronapandemie hat sich die Situation wieder verschärft.

Das Buch «Fädlikinder» ist erhältlich unter: www.muehlerama-seon.ch/muehlerama/buch-faedlikinder/, sowie in jeder Buchhandlung.

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