Erstmals seit 56 Jahren kein Bärzeli
Hallwil Die Mittwinterbräuche fallen in diesem Winter wegen Corona aus. Zum letzten Mal passierte so etwas im Winter 1964/1965, als die Maul- und Klauenseuche hierzulande wütete.
Die Hallwiler Mittwinterbräuche sind ein traditioneller Bestandteil des Dorflebens und sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Besuchern sehr beliebt. Wegen Corona hat die Hallwiler Brauchtumskommission bereits im Oktober einstimmig beschlossen, diesmal auf die Mittwinterbräuche zu verzichten. Thomas Bucher, Mitglied der Hallwiler Brauchtumskommission, gibt Auskunft.
Diesen Winter fallen alle Mittwinterbräuche in Hallwil wegen Corona aus. Gab es diese Situation schon einmal?
Thomas Bucher: Im Winter 1964/1965 trat tatsächlich so eine Situation auf. Das Chlausjagen und das Chlausklöpfe während der ersten Dezemberhälfte fanden noch statt. Danach wurden die Bräuche eingestellt wegen der Maul- und Klauenseuche, die damals grassierte. Die Bauernhöfe wurden unter Quarantäne gestellt. Deshalb konnten die Bräuche, Wiehnechtschindli, Silväschterfüür und Silväschtertrösche sowie Bärzeli nicht mehr durchgeführt werden.
Was ist das für ein Gefühl? Kein Chlausklöpfe, kein Chlausjage, keine Bärzeli in dieser Saison...
Für das Dorf ist das Fehlen der Bräuche ein einschneidender Moment. Burschen, die 14 oder 15 Jahre alt sind, dürfen beim Chlausbrauch mitwirken. Mit dem Ausfall dieses Jahres fehlt ihnen quasi ein Jahr, womit die Möglichkeit zum Chlausmachen dieser Jahrgänge kleiner wird. Ich war in diesem Alter mit grosser Begeisterung selber dreimal Chlaus: als Wächter, Herr und Möörech. Für mich wäre ein Jahr wie 2020 eine Katastrophe gewesen Das Chlauswettklöpfen wurde erstmals 1968 durchgeführt. Nun fällt es diesen 6. Dezember zum ersten Mal in seiner Geschichte überhaupt aus. Die Bärzeli überbringen schliesslich die Neujahrsgrüsse. Dieser traditionelle und sehr originelle Start ins neue Jahr wird leider fehlen.
1948 waren die fünf Mittwinterbräuche ernsthaft vom Zerfall bedroht. Worauf war dieser Trend zurückzuführen?
Es waren viele Faktoren, die zu einem Zerbröckeln der Bräuche führten. Die Industrialisierung hat die Bräuche und Traditionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgedrängt, sodass man viele davon später wieder neu beleben musste. Der 2. Weltkrieg hat die Menschen sehr beschäftigt, da gab es Wichtigeres zu tun. Bis auf das Chlausklöpfe, das im Bezirk Lenzburg fest verankert ist, waren die Bräuche in dieser Form bis 1948 fast alle ausgestorben, ausser in Hallwil. Deshalb wurde 1949 die «Vereinigung zur Erhaltung alter Volksbräuche» in Hallwil gegründet, um die Bräuche wieder gezielt zu pflegen und zu erhalten.
Thomas Bucher (37), Unternehmenskommunikation Novartis, lebte die ersten 26 Jahre seines Lebens in Hallwil. Er nahm im Alter von 13 bis 35 Jahren begeistert an den verschiedenen Bräuchen teil. Er ist Mitglied der Brauchtumskommission in Hallwil, die die Bräuche pflegt und erhalten will.