Eine neue Sonderschule für ukrainische Kinder
Niederlenz Damit ukrainische Kinder mit Beeinträchtigung am Schulunterricht teilnehmen können, gibt es seit März eine neue Sonderschule in Niederlenz. Das erste Zwischenfazit fällt positiv aus.
Während in ihrem Heimatland Krieg herrscht, müssen sie sich in Schweizer Klassenzimmern zurechtfinden: Rund 18000 ukrainische Schulkinder im Alter von vier bis fünfzehn Jahren leben seit Kriegsbeginn in der Ukraine in der Schweiz, wie die Zahlen des Staatssekretariats für Migration SEM zeigen.
Während die meisten die Regelschule besuchen, sind einige Kinder auf sonderpädagogische Angebote angewiesen. Um den Bedürfnissen dieser Schüler gerecht zu werden, wurde Mitte März in Niederlenz eine neue Sonderschule in Betrieb genommen; Trägerschaft ist die Rudolf-Steiner-Sonderschule Lenzburg.
Sechs Kinder mit besonderem Bildungsbedarf erhalten hier spezielle Förderung, weitere Schüler kommen in den nächsten Wochen und Monaten hinzu – bis zu 16 Kinder können aufgenommen werden, je nach Alter und Beeinträchtigung. Aufgenommen werden Kinder vom Kindergarten bis zur Oberstufe mit Sonderschulbedarf aus dem ganzen Kanton; die Schule ist kantonsweit einzigartig. Unterrichtet werden die Schüler von zwei Schweizer und zwei ukrainischen Lehrpersonen sowie einem ukrainischen Kunsttherapeuten in den Unterrichtssprachen Deutsch und Ukrainisch.
Kanton finanziert Sonderschule
Aufgebaut wurde die neue Schule von der Rudolf-Steiner-Sonderschule Lenzburg im Auftrag des Kantons; dieser finanziert den Schulbetrieb und steht in engem Austausch mit der Trägerschaft, wie Schulleiter Johannes Elderhorst erklärt: «Die Stiftung Rudolf-Steiner-Sonderschule Lenzburg hat die Sonderschule Niederlenz als autonomen Bereich aufgebaut, wir nutzen aber viele Synergien und Strukturen.»
Die Räumlichkeiten der neuen Sonderschule befinden sich in der ehemaligen Gartenbauschule Niederlenz am Saxerweg, die 2017 geschlossen wurde. Im Eingangsbereich und in den beiden Klassenzimmern hängen Ballone, überall gibt es Zeichnungen und helle, freundliche Farben. Obwohl Elderhorst froh ist, hier kurzfristig geeigneten Schulraum gefunden zu haben, sei das Gebäude nicht ideal für Kinder mit besonderen Bedürfnissen: Als Berufsschule fehle die nötige Wärme und Geborgenheit, welche Schüler mit besonderen Bedürfnissen brauchen – deshalb die vielen Ballone. Die Kinder, die hier zur Schule gehen, haben kognitive oder sozial-emotionale Beeinträchtigungen; ihre Bedürfnisse und Ansprüche sind vielfältig. «Viele der Kinder würden eigentlich in heilpädagogische Einrichtungen gehen. Wir haben hier aber beste Voraussetzungen, um die verschiedenen Anspruchsgruppen zu betreuen und zu beschulen», so Elderhorst. Auch könne man auf Experten anderer Sonderschulen zurückgreifen, wo nötig, so der engagierte Schulleiter, der seit 1986 für die Rudolf-Steiner-Schulen tätig ist und im Sommer 2018 frühpensioniert wurde. Für die neue Sonderschule hat Elderhorst seinem Ruhestand den Rücken gekehrt: «Als ich vom Projekt hörte, sagte meine innere Stimme: ‹Das machst du!›. Ich war von Anfang an bei den Planungsbesprechungen mit dem Kanton dabei. Jetzt leite ich begeistert und mit Freude diese kleine Schule.» Die Freude ist auch bei den Lehrpersonen spürbar. Mit grosser Motivation unterrichten sie ihre Schützlinge, schaffen haltgebende Strukturen, arbeiten sowohl mit den Schülern wie auch mit den Eltern vertrauensbildend und auf Augenhöhe zusammen.
Zwei Lehrerinnen sind selbst Flüchtlinge, sie wissen aus eigener Erfahrung, was die Kinder und die Eltern miterlebt haben. «Zusätzlich zu den diagnostizierten Beeinträchtigungen müssen wir auch immer von Traumatisierungen ausgehen», weiss Elderhorst. Das Team rund um Elderhorst leistet echte Pionierarbeit; die Sonderschule ist kantonsweit einzigartig. Die Situation verlangt von allen viel Flexibilität, Lernbereitschaft und Humor. «Das macht es aber auch interessant und es ist eine begeisternde Aufgabe für alle, am Aufbau dieser Schule mitarbeiten zu dürfen», so Elderhorst.
Betrieb bis März 2024 geplant
Mittlerweile läuft der Schulbetrieb seit drei Wochen. Das Engagement lohnt sich: Die Schüler sind im neuen Alltag angekommen, es herrscht eine gute Stimmung an der Schule. Eine Mutter zweier Kinder sagt: «Ich bin sehr froh, dass eine solche Schule entstanden ist. Im Moment ist sie die einzige Möglichkeit für meine Kinder, in der Schweiz zur Schule zu gehen.» Eine andere Mutter ergänzt: «Meine Eindrücke von der Schule sind nur positiv. Mein Kind geht sogar früher ins Bett, damit der neue Tag schneller kommt und es wieder zur Schule gehen kann.»
Geplant ist der Schulbetrieb zunächst bis März 2024. Was danach kommt, hängt von der Kriegsentwicklung in der Ukraine ab. «Bei Bedarf wird der Schulbetrieb verlängert», so Elderhorst.