Zu viele Worte

Wir kennen das alle. Kaum beginnen wir damit, eine interessante Geschichte zu erzählen oder über Dinge zu reden, die uns gerade bewegen, schon fällt uns die zuhörende Person ins Wort und beginnt mit einer eigenen Geschichte. Das Problem ist immer das gleiche. Wir können nicht mehr länger zuhören. Ausserdem haben wir das starke Bedürfnis, unsere eigenen Erfahrungen, Probleme und Meinungen an die Frau oder an den Mann zu bringen. «Ja aber» – so beginnen viele Antworten. «Ja aber» wird in der Kommunikationslehre als verkapptes «Nein» bezeichnet.
Im Achtsamkeitstraining lernt man, wieder einander aufmerksam zuzuhören. Man unterdrückt den Impuls, immer zu jedem auch gleich die eigene Meinung kundzutun. Diese Achtsamkeitsübung nennt sich «Inquiry». Das Wort hat im Deutschen unterschiedliche Bedeutungen, man kann es hier gut mit «sich erkundigen» übersetzen. Wenn ich mich über jemanden oder etwas erkundige, muss ich zunächst einmal aufmerksam zuhören. Die andere Meinung stehen lassen, nicht ins Wort fallen. Um dies zu üben, darf die erzählende Person einfach fünf Minuten erzählen. Das Gegenüber muss ruhig zuhören und darf nicht unterbrechen. Danach hat die zuhörende Person Gelegenheit, in aller Ruhe – wieder ohne Unterbruch – ihre Gedanken dem Gegenüber zu äussern.
Achtsames Zuhören führt zu sehr entspannten Unterhaltungen. Probieren Sie es einmal aus. Es ist ein viel angenehmeres Miteinander und der Clou ist, wir bekommen in den Erzählungen und Diskussionen viel mehr von der Geschichte mit, als wenn wir uns immer ins Wort fallen.
Volker Schulte
Unter «Tipp zum Alltag» schreiben Jörg Kyburz und Volker Schulte jeweils in der letzten Ausgabe des Monats an dieser Stelle über psychologische Aspekte im Alltag. Die beiden Autoren leiten den CAS-Studienlehrgang Achtsamkeit in Lenzburg.