Spuk, Geister, Sagen und Gänsehaut

Lenzburg Über Jahrhunderte gesammelt, erfreuen sich Sagen noch heute grosser Beliebtheit. Zur Feier des 100-Jahr-Jubiläums der Sagensammlung «Aus einem alten Nest» lässt die Ortsbürgerkulturkommission in Zusammenarbeit mit dem Museum Burghalde Sagen und Legenden wiederaufleben.

Schaurig-schöne Sagen: Ursula Steinmann mit dem Buch «Aus einem alten Nest».Foto: Romi Schmid

Schaurig-schöne Sagen: Ursula Steinmann mit dem Buch «Aus einem alten Nest».Foto: Romi Schmid

Gab es hier mal einen Richtplatz? Sagenkennerin Ursula Steinmann beim «Richtplatz» im Lenzburger Wald.Foto: Romi Schmid

Gab es hier mal einen Richtplatz? Sagenkennerin Ursula Steinmann beim «Richtplatz» im Lenzburger Wald.Foto: Romi Schmid

Jede Region hat ihre Sagen und Geschichten, die über Generationen weitererzählt werden. Auch Lenzburg hat eine reiche Sagentradition. 42 von ihnen hat der Lenzburger Nold Halder (1899–1967) 1923 im Sagenbuch «Aus einem alten Nest» zusammengetragen.

Spukgeschichten beim Richtplatz

Keine magischen Wesen wie bei Harry Potter, aber Knochenmänner und Gespenster trieben sich einst im Lenzburger Wald umher. Beispielsweise beim Richtplatz an der alten Othmarsingenstrasse am Waldrand. Hier spielt die erste Sage im Buch. Das Bild zeigt einen geköpften Mann, welcher seinen Kopf unter dem Arm trägt und auf ein Kreuz am Boden zeigt. Er steht vor einer halbrunden Mauer, welche ein Überbleibsel eines Richtplatzes sein soll. Die Mauer gibt es heute noch: Viele Jahre war sie vom Wald überwuchert worden – Sagenkennerin Ursula Steinmann ist es zu verdanken, dass die Mauer im Rahmen des Lenzburger Stadtjubiläums 2006 durch das Forstamt wieder freigelegt wurde.

«Als Kind habe ich dort jeweils eine Pause eingelegt, wenn ich mit dem Hund nach Othmarsingen gegangen bin. Kurz vor der Dorfgrenze lag die Mauer im Schatten des Waldrandes», erinnert sich Steinmann. Als die Heitersberglinie gebaut wurde, musste die Othmarsingerstrasse angepasst werden – der Standort der Mauer verschob sich in den Wald hinein, die Mauer geriet in Vergessenheit. «Niemand weiss, wann und zu welchem Zweck die Mauer eigentlich erstellt wurde. Historisch kann kein Richtplatz nachgewiesen werden, allerdings nannte man die alte Othmarsingerstrasse Galgenrain und im Hornerfeld findet man einen Galgenplatz», erklärt Steinmann weiter.

Sagen in «Lenzburger Mundart»

Schon als Kind konnte die Lenzburgerin von Sagen und Geschichten nicht genug bekommen. «Ich besuchte die 4. Klasse, als unser Lehrer uns aus dem Buch ‹Aus einem alten Nest› vorlas. Die Sagen haben mich sofort fasziniert und seither nicht mehr losgelassen», so Steinmann.

Bereits zum Stadtjubiläum hat Steinmann einige der Sagen des Buchs auf «Lenzburger Mundart» übersetzt und auf dem Ziegelacker – dort befand sich bis 1867 der Stadtfriedhof – vorgetragen.

Feier zum 100-Jahr-Jubiläum

Zum 100-Jahr-Jubiläum hat die Sagenkennerin in Zusammenarbeit mit der Ortsbürgerkulturkommission das gedruckte Lesevergnügen ergänzt: 15 Sagen aus dem Buch wurden von Ursula Steinmann beim Zürcher Tonstudio Jingle Jungle eingesprochen und vertont. Zu hören gibt es sie im Rahmen des Themenjahres «Sagenzauber – sagenhaftes Lenzburg» des Museums Burghalde. Das Sagenbuch beinhaltet 42 Sagen, zusammengetragen von Nold Halder und illustriert von Hans Eggimann. Es wurde erstmals 1923 herausgegeben und erschien 1977 in einer zweiten Auflage der Ortsbürgerkulturkommission in Zusammenarbeit mit Heiner Halder, Sohn von Nold Halder. Zur Feier des Jubiläums findet am 18. November eine Veranstaltung bei der Richtstätte im Lind nahe der Othmarsingerstrasse statt – mit spannendem Programm und zwei schaurig-schönen Sagen, vorgetragen von Ursula Steinmann. «Die Besucher hören die Sage vom unbekannten Mann beim Heidengalgen (Richtplatz) und jene vom Gexibauer, welcher schräg gegenüber, jenseits der heutigen Bahnlinie, gewohnt und gehext haben soll», verrät Steinmann. Zudem werden am Anlass zwei Blutbuchen gepflanzt. «Ich freue mich riesig auf diese Feier und dass die Hörstationen im Zusammenhang mit der neuen Ausstellung realisiert werden», so Steinmann. Auch bei Heiner Halder ist die Freude gross: «Sagenhaft, dass für ein hundertjähriges Buch ein Jubiläum gefeiert wird! Die Ehrung meines Vaters Nold Halder berührt mich sehr», sagt er.

Themenjahr «Sagenzauber»

«Das Museum Burghalde widmet sich in seiner nächsten Sonderausstellung ‹Sagenzauber – sagenhaftes Lenzburg› dem alten Erzählgut und bringt den Sagenschatz spielerisch und in verschiedenen Formaten und Medien Klein und Gross näher», erklärt Marc Seidel, Leiter Museum Burghalde. Ausgangspunkt für das neue Themenjahr ist das 100-Jahr-Jubiläum der Publikation «Aus einem alten Nest». Ende Februar 2024 eröffnet dann die Sonderausstellung ihre Tore und dauert bis Ende November.

«Die verschiedenen Schauplätze rund um ‹Sagenzauber› im Innen- und Aussenbereich ermöglichen vielfältige Sinneseindrücke. Die Anwendung digitaler Technologien und deren Kombination mit einem analogen Zugang bildet beim Projekt einen zentralen Aspekt. Denn mit dem Einbeziehen neuster technologischer Entwicklungen wird altes Sagengut neu erlebt und tradiert. Die Besuchenden werden selbst zu Sagensammlern und erleben die Magie belebter Figuren aus dem Reich der Fantasie», so Seidel weiter. Einen ersten Vorgeschmack gibt es am 18. November – dabei zu sein dürfte sich auf jeden Fall lohnen.

Sagenhaftes Lenzburg: Samstag, 18. November, 14 Uhr, Richtstätte im Lind, Lenzburg.

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