«Schulsozialarbeit ist Beziehungsarbeit»

Schulsozialarbeit gab es früher nicht. «Heute braucht es das», sagt Stefan Kirchhof, Schulsozialarbeiter in Niederlenz und Vorstand des neuen Vereins Schulsozialarbeit Aargau. Er gibt im Interview Einblick in das noch junge Berufsfeld.

Schulsozialarbeiter befähigen Kinder und Jugendliche, mit schwierigen Situationen umzugehen: Schulsozialarbeiter Stefan Kirchhof im Gespräch mit Schülern (gestellte Szene). Fotos: Melanie Solloso

Schulsozialarbeiter befähigen Kinder und Jugendliche, mit schwierigen Situationen umzugehen: Schulsozialarbeiter Stefan Kirchhof im Gespräch mit Schülern (gestellte Szene). Fotos: Melanie Solloso

Im Hintergrund das Arbeitswerkzeug: Stefan Kirchhof, Schulsozialarbeiter in Niederlenz.

Im Hintergrund das Arbeitswerkzeug: Stefan Kirchhof, Schulsozialarbeiter in Niederlenz.

Das Netzwerk der Schulsozialarbeit Aargau wurde vergangenen Herbst zum Verein. Was sind eure Hauptanliegen mit der Vereinsgründung?

Mit der Vereinsgründung wurde ein klarer Ansprechpartner für den Kanton und andere Institutionen geschaffen. Mit dem Verein möchten wir das noch relativ junge Berufsfeld der Schulsozialarbeit stärken und nach aussen repräsentieren. Mit der neuen juristischen Form erhalten wir ausserdem mehr Handlungsmöglichkeiten.

Wie seid ihr organisiert?

Wir haben eine flache Hierarchie, ein Präsidium gibt es nicht. Der Vorstand besteht aus neun Mitgliedern, das entspricht je einem Abgesandten pro Region.

Was erhofft sich die Schulsozialarbeit Aargau von der Vereinsgründung?

Dass gute Zusammenarbeiten entstehen. Auch auf anderen Ebenen kann jetzt Netzwerkarbeit zustande kommen. Aktuell arbeiten wir beispielsweise mit dem Suizid-Netz Aargau zusammen. Es wird eine Weiterbildung für Schulsozialarbeiter erarbeitet zur Unterstützung in Suizidprävention.

Sie sind seit sechs Jahren Schulsozialarbeiter an der Schule Niederlenz. Was macht ein Schulsozialarbeiter?

Wir bieten ein niederschwelliges Beratungsangebot für Kinder, Eltern und Lehrpersonen. Das heisst, man muss sich nicht anmelden. Die Tür steht immer offen. Ich berate bei persönlichen oder sozialen Problemen und unterstütze bei der Bewältigung von Krisen – in Gruppen, ganzen Klassen oder einzeln. Aber auch Prävention ist Teil meiner Agenda. Im Fokus steht die Stärkung der Lebenskompetenzen der Kinder und Jugendlichen.

Mit was für Problemen, Fragen oder Anliegen wenden sich Kids an Sie?

Familienstreitigkeiten sind hoch im Kurs, aber auch Konfliktverhalten allgemein ist immer wieder Thema, Konflikte zwischen Schülern oder Mobbing kommt auch vor. Wenn die Kinder von sich aus auf mich zukommen, sind oft soziale Konflikte ausschlaggebend. Auch die neuen Medien sind viel thematisiert, zum Beispiel die Kommunikation in Chats.

Ein Kind sucht freiwillig Rat bei einem fremden Erwachsenen. Kommt das überhaupt vor oder werden die Kinder, die Hilfe brauchen, von den Lehrpersonen zu Ihnen verwiesen?

Von Lehrpersonen initiiert wird ungefähr die Hälfte der Gespräche. Ein allfälliges zweites Gespräch ist dann aber immer freiwillig. Schulsozialarbeit ist Beziehungsarbeit. Das A und O für einen Schulsozialarbeiter ist Vertrauen. Das muss man sich erst einmal erarbeiten. Hier kennt man mich mittlerweile gut. Ich bin oft in den Klassen zu Besuch und arbeite mit den Schülern themenspezifisch. Auch bin ich jeweils im Skilager dabei.

Was für Themen schauen Sie mit den Kindern und Jugendlichen im Klassenverband an?

Zum Beispiel das Thema Geld, Schulden oder Konsumverhalten, Mediennutzung, Konfliktmanagement, aber auch geschlechterspezifische Themen wie Pubertät.

Wann wird ein Gespräch von der Lehrperson initiiert?

Das passiert dann, wenn zum Beispiel das Verhalten im Unterricht Probleme oder Sorgen bereitet. Meistens geht es um Konfliktkompetenzen. Zum Beispiel «Wie gehe ich mit Wut um?». In der Regel sind die Kids bereit, daran zu arbeiten. Statt über das Problem zu reden, erreiche ich sie über ihre Stärken. Und die führen direkt in die Lösungsarbeit.

Wann suchen Sie das Gespräch mit Eltern?

Wenn die Familienkonstellation bei Problemen mit hineinspielt.

Sind Eltern der Schulsozialarbeit gegenüber aufgeschlossen oder haben sie Vorurteile?

Ich hatte sehr selten Eltern, die negativ reagiert haben. Man kennt mich und dank meiner Anstellung durch die Gemeinde kann ich unabhängig von der Schule auftreten. Das ist ein Vorteil.

Schulsozialarbeiter stehen unter Schweigepflicht. Was tut ihr, wenn zum Beispiel eine Straftat oder ein Missbrauch an euch herangetragen wird?

In solchen Fällen sind wir verpflichtet zur Mitteilung.

Leider hört man ab und zu auch Negatives über die Arbeit der Schulsozialarbeit. Wie wird die Qualität in Niederlenz sichergestellt?

Es findet ein regelmässiger Austausch mit der Schulleitung, der Gemeinde und Schulkollegen statt. Eine Kontrollstelle an sich gibt es nicht.

Was sind die primären Unterschiede zwischen Schulsozialarbeit und Schulpsychologischem Dienst?

Der Schulpsychologische Dienst kommt bei schulstofflichen Problemen zum Einsatz, aber auch dann, wenn ein Problem nicht in der Schulsozialarbeit gelöst werden kann. Eine Langzeitbetreuung kommt in der Schulsozialarbeit nicht in Frage. Dennoch versuche ich, dass meine Arbeit mit den Kindern nachhaltig ist. Ich möchte Kinder befähigen, ihr Leben zu meistern und mit schwierigen Situationen umzugehen.

Schulpsychologie und Schulsozialarbeit gab es früher nicht. Warum braucht es das heute?

Die Anforderungen im Schulsystem sind stark gestiegen. Viele Lehrpersonen sind überbelastet. Die Schulsozialarbeit ist auch eine Art Symptombekämpfung, also eine Unterstützungsmassnahme, um die Lehrpersonen etwas zu entlasten. Auch der gesellschaftliche Wandel spielt mit. Früher interessierten die sozialen Probleme oder was zu Hause passierte weniger. Heute ist das anders.

Sind diese Einrichtungen nicht auch ein Stück weit eine Überregulierung, der Versuch, möglichst alles zu professionalisieren?

Das kann schon sein. Ich mache mir auch kritische Gedanken über meinen Beruf. Schlussendlich möchte ich aber eine Ressource sein an dieser Schule, ein Vorbild. Ich bin ein weiterer Player für die Unterstützung der Kinder. Primär bin ich für sie da und nicht für die Lehrer. Ich will, dass die Kids konfliktfähig sind, dass sie selbstbewusst ihr Leben bewältigen und einen Beruf finden.

Infos zum Verein Schulsozialarbeit Aargau findet man unter www.ssa-aargau.ch.

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