Regionaler Weinanbau: «Wir stehen noch am Anfang der Saison»

Weinbau Ein warmer Tag und guter Durst bringen eine Redaktorin des LBA nach Seengen zum Weingut Lindenmann sowie an den Schlosshang in Lenzburg. Viel Leidenschaft für den roten und den weissen Tropfen verbindet die beiden, aber auch einige Sorgen und Herausforderungen.

Ihr erster Halt führt sie zu Thomas und Christina Lindenmann, die in Seengen einen professionellen Weinbetrieb mit über zehn Weinsorten besitzen. Thomas Lindenmann erzählt im Interview.

Wie erleben Sie das Wetter bisher dieses Jahr?

Wir erleben bisher einen warmen Frühling. Nun hoffen wir auf sonnenreiche Monate ohne zu viel Regen oder Frost. Wir stehen aber noch am Anfang der Saison.

Wie verlief die letztjährige Weinsaison?

Das letzte Jahr startete mit einem sehr warmen Frühling mit angenehmen Temperaturen im Februar und März, danach kamen kühlere Nächte mit frostigen Temperaturen, zum Glück fast ohne Schäden. Von Anfang Mai bis Mitte Juli war das Wetter eher nass, was die Mehltauinfektion begünstigte. Die zweite Sommerhälfte brachte dann herrliches Traubenwetter, sodass eine sehr schöne Ernte bevorstand.

Welches Wetter wäre optimal?

Wir vermissen den Frühling, der in den Sommer hineinläuft. Angenehm warmes T-Shirt-Wetter ohne Frost und Hagel ist optimal – über dreissig Grad ist zu warm, in der Hitze im Rebberg arbeiten wird dann unerträglich. Die Rebe ist eine empfindliche Pflanze und mag es nicht zu nass. Sie kommt nicht schnell in einen Wasserstress, denn die Wurzel holt tief unten Wasser. Die Reben mögen lieber trockenes Wetter.

Die Sommer wurden wärmer seit der Klimaerwärmung. Profitiert Ihr Betrieb davon?

Die letzten Jahre waren sicherlich die zuckerreicheren Jahre. Daher ja, unsere Produktion hat von der Klimaerwärmung profitiert.

Seit wann führen Sie das Weingut?

Wir sind ein Familienbetrieb. Mein Grossvater führte einen Landwirtschaftsbetrieb, zu dem schon immer ein kleiner Rebberg gehörte. Mein Vater konnte die Rebfläche durch Abtausch und Kauf in den 80er-Jahren bereits etwas erweitern. Meine Frau Christina und ich übernahmen den Betrieb im Jahr 2007, weitere Neupflanzungen kamen stets dazu und ich schloss meine Winzerlehre mit anschliessender Meisterprüfung ab. Heute führen wir einen reinen Weinbaubetrieb mit neun Hektaren Rebfläche.

Wie gelingt Ihnen der «perfekte» Wein?

Den perfekten Wein zu produzieren, ist eine schwierige Aufgabe. Vorausgesetzt ist eine schöne Traubenqualität, die dann mit viel Feingefühl verarbeitet wird. Ausgewogene Anteile von allen Inhaltsstoffen des Taubensaftes zu kombinieren, ist wohl das Geheimnis von jedem Winzer.

Wie verläuft eine Weinsaison?

Im Januar starten wir das Jahr mit dem Zurückschneiden der Reben und binden Triebe auf einen Drahtrahmen. Dabei unterstützen uns zahlreiche Helfer. Während des Jahres entfernen wir überschüssiges Laub und brechen Fehltriebe weg. Vor der Ernte schützen wir die süssen Trauben teilweise mit Netzen vor Vögeln. Im Spätsommer oder Herbst startet die Weinlese. Bis zu dreissig Personen unterstützen uns an diesen Tagen vor Ort. Während der Wintersaison keltern wir unsere Trauben sowie Weine anderer Rebbauern, darunter auch der Schlosswein Lenzburg.

Auch in Lenzburg werden Trauben angebaut

Die zweite Station führt sie zum Lenzburger Schlosshang, wo sie von Werner Volkmar, Mitglied der Ortsbürger Rebbauern-Vereinigung, begrüsst wird. Ein angenehmer Wind zieht vorbei, zwei Schafe blöken. Die beiden erklimmen die Stufen zum Weingut und setzen sich unter die traubenbestückte Pergola. Ein prächtiger Ausblick belohnt sie. Werner Volkmar wagt im Interview eine Prognose über die Zukunft des Lenzburger Weins.

Wie seid ihr ins diesjährige Weinjahr gestartet?

Das Wetter gestaltet sich im Lenzburger Rebberg nach einem eher trockenen Winter in diesem Frühling im Normbereich. Frostschäden verzeichneten wir keine. Auf einen durchschnittlichen Mai folgte ein wechselhafter Junibeginn. Das Risiko für einen Befall mit falschem Mehltau ist damit tendenziell gestiegen. Ebenso haben die gelegentlichen Gewitter das Hagelrisiko erhöht. Die Reben haben gut ausgetrieben und das Rebjahr hat für uns positiv begonnen. In Bezug auf das Wetter mussten wir keine Überraschungen erleben.

Wie zufrieden seid ihr mit der Ernte vom letzten Jahr?

Der Frühling im letzten Jahr war viel zu nass. Der Sommer war dann zum Glück wärmer und trockener, darüber sind wir froh. Die Ernte fiel geringer aus als andere Jahre. Dank dem warmen Sommer hatte das Traubengut aber gute Qualität.

Wie kam es dazu, Wein am Schlossberg zu pflanzen?

Der Verein ist aus einer lustigen Begebenheit entstanden. Bereits früh im 13. Jahrhundert war der Schlossberg mit Reben bestückt. Kyburger, Habsburger, Berner Landvögte und spätere Schlossherren pflegten ihn mit kleinen Unterbrüchen bis ins 20. Jahrhundert. Später konnte die Stadt Land abtauschen und zahlreiche Bürger schlossen sich zusammen, um die Rebarbeit zu übernehmen.

Wer pflegt den Rebberg heute?

Die Ortsbürger Rebbauern-Vereinigung zählt 160 Mitglieder, die Stammmannschaft umfasst ungefähr zwanzig Personen. Wiederum davon kommen fünf bis acht Personen nahezu wöchentlich auf den Rebberg. Das sind erfahrene Personen, die auch spontan anpacken. Traditionell treffen wir uns immer am Samstag zur Rebenpflege. Der Verein feierte letztes Jahr das 75-Jahr-Jubiläum.

Wie viele Stunden verbringt ihr am Rebberg?

Das ist unterschiedlich. Unser Stundenplan wird rein von der Natur bestimmt. Ein Rebstock wächst sehr schnell und wir müssen schnell reagieren. Die Rebe ist ein Busch und setzt ihre ganze Energie in die Blätter. Wir wollen aber, dass sie in die Trauben geht. Wenn wir nicht regelmässig schneiden, gehen die Triebe nicht hoch, sondern legen sich in die anderen Reihen. Wir wollen einen gut durchlüfteten Rebberg. Was wir nicht brauchen, ist eine tropische, feuchte Höhle.

Welche Traubensorten führt ihr?

Unsere Vorfahren pflanzten damals die sehr verbreitete und edle Blauburgundersorte. Es ist die einzige Sorte auf dem Rebberg. Wenn wir drei Traubensorten hätten, würden wir homöopathisch arbeiten, denn der Rebberg ist zu klein für mehrere Sorten. Ein professioneller Weinbauer hat meist über zehn Weinsorten und kann so variieren. Diese Möglichkeit haben wir hier nicht. In der Schweiz sagt man, man müsse etwa sechs Hektaren Reben besitzen, um den Weinanbau wirtschaftlich betreiben zu können. Ich habe in den USA Rebberge mit 100000 Hektaren gesehen. Im Vergleich dazu haben wir mit unserer halben Hektare ein Rebbergli.

Welche Herausforderungen beschäftigen euch?

Es gibt mehrere. Einerseits befällt der Meltaupilz aktuell stark die Reben. Das nasse Wetter im Frühjahr begünstigt ihn. Ausserdem verbreitet sich die Kirschessigfliege. Sie legt Eier in die Früchte und der geschlüpfte Wurm frisst die Früchte von innen. Dazu kommt: Der weltweite Weinkonsum ist rückläufig. Früher war Wein ein Alltagsbewältiger – man hat hart gearbeitet und wollte abends die Knochen betäuben und Ruhe im Kopf haben. Personen heutzutage interessieren sich nicht mehr für den Weinbau, möchten lediglich ein Glas Wein trinken. Es ist schwierig, Freiwillige für den Verein zu finden. Unser Verein ist stark überaltert, die meisten von uns sind zwischen 65 und 80 Jahre alt.

Wie geht es weiter mit dem Schlosswein?

Wir müssen eine grundsätzliche Veränderung vornehmen. Auch der Rebberg ist alt. Die Drahtanlage muss in den nächsten Jahren erneuert werden, ein Kostenpunkt von weit über 100000 Franken. Wir haben zwar Vermögen, aber nicht in Form von Geld. Wir haben Wein, aber davon können wir keine Lieferanten zahlen. Wir sind mit der Stadt im Gespräch. Unsere Vision ist es, dass die Gemeinde eine fixe Stelle schafft und mit einem Profi im Weinbau besetzt. Dieser bedient sich bei Bedarf am Personalpool der Ortsbürger als Unterstützung. Die Gemeinde Bremgarten hat diese Variante bereits.

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