Rafael und Rahul sind nicht erwünscht
Region Wer im Aargau eine Spielgruppe leiten möchte, braucht keine Betriebsbewilligung, da sie nicht dem kantonalen Kinderbetreuungsgesetz unterliegt. Rechte und Pflichten sind somit nicht zwingend vorgeschrieben. Diskriminierendes Verhalten ist trotzdem nicht erlaubt, aber genau so geschehen.
Den dreieinhalbjährigen Zwillingen Rafael und Rahul wurde die Aufnahme in eine Spielgruppe in der Region verweigert. Der Grund: Ihre Eltern sind ein homosexuelles Paar, was die betreffende Spielgruppenleiterin den Eltern gegenüber mit den Worten kommentierte, dass eine solche Konstellation weder normal noch natürlich sei. Bei einer entsprechenden Abklärung seitens der Zeitung wurde diese Aussage von der Spielgruppenleiterin bestätigt.
Ist ein solches Verhalten erlaubt? Die Zeitung hat beim Verein Spielgruppen Aargau nachgefragt. «Jedem Kind soll der Zugang zu einer Spielgruppe ermöglicht werden. Das ist die Philosophie, der sich unser Verein verschrieben hat. Wir richten uns nach der UN-Kinderrechtskonvention. Diskriminierendes Verhalten ist in Spielgruppen nicht erwünscht», sagt Regula Aeschbach, Leiterin Regionalgruppe Aarau. Allerdings könne jedermann eine Spielgruppe leiten. Und auch der Beitritt zum Schweizerischen Spielgruppenleiterinnen-Verband (SSLV) sei absolut freiwillig, ergänzt Aeschbach. Glücklich über die rechtlich nicht wirklich geregelte Situation ist man seitens des Vereins und des Dachverbandes nicht.
Verbindliches fehlt
«Wir arbeiten schon länger daran, verbindliche Rahmenbedingungen für Spielgruppen zu erhalten. Auch in anderen Kantonen laufen solche Bestrebungen», betont sie. Zwar wird den Interessenten während ihrer Grundausbildung zur Spielgruppenleiterin, zum Spielgruppenleiter, das pädagogische, methodische und organisatorische Rüstzeug zum Aufbau und zur Leitung einer Spielgruppe vermittelt. Ob es die Absolventen dann auch so umsetzen, wird nicht weiterverfolgt. «Dafür fehlen uns bisher schlichtweg die Möglichkeiten und Mittel. Doch zusammen mit dem schweizerischen Dachverband (SSLV), in Anlehnung an dessen Empfehlungen und mit Weiterbildungsangeboten trägt unser Verein schon viel zur Qualitätssicherung in Spielgruppen bei. Rechtliche Grundlagen fehlen jedoch gänzlich», bedauert Aeschbach. Gesetzlich vorgeschriebene Kontrollen gibt es bis anhin keine.
Hand bieten für Gespräche
Ein solcher Fall wie mit den Zwillingen Rahul und Rafael sei dem Verein noch nie gemeldet worden. Es gebe hin und wieder Situationen, in denen eine Lösung gefunden werden müsse und vermittelnde Gespräche zwischen den Eltern und der betreffenden Spielgruppe geführt werden. «Im aktuellen Fall würden wir sicher Hand für eine Beratung bieten. Für beide Seiten», betont sie. Auch innerhalb des Vereins gebe es für Spielgruppenleitende immer wieder gute Möglichkeiten zum Austausch. Aber eben, eine Mitgliedschaft sei nicht zwingend.
Die Eltern von Rafael und Rahul sind sich unschlüssig, ob sie bei einer anderen Spielgruppe nochmals einen Anlauf wagen oder ob sie einfach warten sollen, bis die Zwillinge in den Kindergarten kommen.
Der Lenzburger Stadtrat Andreas Schmid äussert sich zum Bewilligungsverfahren
Weshalb braucht es für den Betrieb einer Spielgruppe keine Bewilligung?
Andreas Schmid: Für das Leiten einer Spielgruppe braucht es keine Betriebsbewilligung, da die Kinder nur halbtags betreut werden. Für das Führen einer Kindertagesstätte, in der die Kinder ganztags sind, braucht es eine Betriebsbewilligung. In dieser Bewilligung werden die Anforderungen an die Qualifizierung des Betreuungspersonals und die Prüfung des Betriebskonzepts (pädagogisches Konzept, Prävention vor sexuellen Übergriffen, Lebensmittelsicherheit und anderes) geregelt.
Mit anderen Worten, jede Person kann eine Spielgruppe führen?
Grundsätzlich ja.
Wenn es keine Betriebsbewilligung braucht, ist auch keine Behörde für die Kontrolle zuständig, richtig?
Das ist so. Es besteht keine Aufsichtspflicht. Allerdings gibt es vom Verein Spielgruppen Aargau entsprechende Empfehlungen, wie eine Spielgruppe zu führen ist.
Zeigt der Fall von Rahul und Rafael nicht auf, dass hier Handlungsbedarf bestehen würde?
Zweifelsohne müssen die Kompetenz und die Qualität stimmen, wenn Kinder betreut werden. Aber das Ganze hat zwei Seiten. Die Spielgruppen sollen ein Betreuungsangebot mit einem möglichst niederschwelligen Zugang bieten, für das es keine umfangreichen Auflagen gibt, die für die Spielgruppe mit Kostenfolgen verbunden wären. Diese Mehrkosten würden zwangsläufig auf die Familien überwälzt. Ziel ist jedoch, wenn möglich jedem Kind den Zugang zu einer Spielgruppe zu ermöglichen.
Das ist der Punkt. Jedem Kind. Rahul und Rafael wurde die Aufnahme in eine Spielgruppe jedoch verweigert.
Ich persönlich habe für die Haltung dieser Spielgruppenleiterin kein Verständnis. Im Zentrum steht das Wohl des Kindes. Die Lebensform der Eltern sollte bei der Aufnahme in eine Spielgruppe keine Rolle spielen. Ein entsprechendes Diskriminierungsverbot ist in der Bundesverfassung bereits verankert.