Politischer Handlungsbedarf bei pflegenden Angehörigen

Der Begriff «Pflegende Angehörige» ist in der politischen Debatte jüngst zu einem regelrechten Unwort geworden. Aber was ist denn überhaupt das Problem? Der Ursprung liegt in einemBundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2019, welcher besagt, dass Leistungen der Grundpflege durch pflegende Angehörige, welche bei einer Spitex-Organisation angestellt sind, auch ohne entsprechende Ausbildung abgerechnet werden dürfen. Dies hat profitorientierte Unternehmen – teilweise auch aus dem Ausland – auf den Plan gerufen, mit aggressiven Werbemassnahmen pflegende Angehörige zu akquirieren. Neben der sehr reisserischen Werbung locken sie mit Stundenlöhnen, die teilweise deutlich über der Entlöhnung von ausgebildetem Pflegepersonal liegen. Wieso tun sie das?

Der Pflegenormtarif (Stundensatz) in der ambulanten Pflege beträgt im Kanton Aargau 78.10 Franken, die Krankenkassen bezahlen davon 52.60 Franken, den Rest übernehmen abzüglich der Patientenbeteiligung die Wohnsitzgemeinden. Die Spitex-Organisationen, die pflegende Angehörige anstellen, bezahlen Löhne zwischen 35 und 37.90 Franken. Somit streichen sich die Unternehmen rund 40 Franken – also über 50 % - zu Lasten der Prämien- und Steuerzahler ein. Dieser Sachverhalt zeigt klar, dass eine Regulierungslücke von den Organisationen – und nicht von den pflegenden Angehörigen! – schamlos ausgenutzt wird.

Aus diesem Grund haben die Fraktionen FDP, SVP und Mitte am 3. März 2025 drei Vorstösse eingereicht, um diese Regulierungslücke zu schliessen. In den drei Vorstössen wurden folgende Themen adressiert: Arbeitsrechtliche Grundlagen für die pflegenden Angehörigen, Tarifsenkung für Angehörigenpflege und Anstellung als pflegende Angehörige nur bei Verzicht auf Erwerbstätigkeit. Der Regierungsrat hat in seiner Beantwortung dargelegt, dass der letzte Punkt im Bundesgesetz zu regeln ist.

Aus diesem Grund wurde dieser Vorstoss zugunsten einer Standesinitiative zurückgezogen. Die anderen beiden Vorstösse hat der Grosse Rat entgegen dem Antrag des Regierungsrats überwiesen. Der Regierungsrat ist nun gefordert, dem offensichtlichen Marktversagen mit griffigen Regulatoren zu begegnen. Auch das gehört zu einer liberalen Politik.

Das Ziel muss sein, dass Angehörige ihre pflegebedürftigen Mitmenschen weiterhin pflegen können. Dies aber zu fairen, finanzierbaren und politisch vertretbaren Rahmenbedingungen.

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