Mit Elan und Kreativität für den Wert der kulturellen Aktivitäten

Mit Blick auf den Bildschirm: Musikfernunterricht am Klavier in Zeiten der Coronakrise. Foto: Stefanie Osswald

Mit Blick auf den Bildschirm: Musikfernunterricht am Klavier in Zeiten der Coronakrise. Foto: Stefanie Osswald

Instrumente und Laptops: Home-Office-Arbeitsplatz eines Musiklehrers. Foto: zvg

Instrumente und Laptops: Home-Office-Arbeitsplatz eines Musiklehrers. Foto: zvg

Musikunterricht: Die Welt befindet sich im Ausnahmezustand. Von der landesweiten Schliessung aller Bildungsinstitutionen sind auch die Musikschulen betroffen. Eine Bestandsaufnahme auf dem schmalen Grat zwischen Herausforderung und kreativer Chance.

Die Coronakrise löst einen allgemeinen Digitalisierungsschub aus. Home-Office, Social Distancing, Schulschliessungen und Absagen sämtlicher Sport- und Kulturveranstaltung verändern die Art der Kommunikation. In sämtlichen Bereichen ist eine Verschiebung der Kommunikationsmittel auf digitale Medien zu beobachten. Auch die Musikschulen sehen sich vor neue Herausforderungen gestellt. 

Viele unvorbereitete Musikschulen

Der landesweite Shutdown trifft die Musikschulen unerwartet. Während die obligatorischen Schulen sich bereits seit der Beschliessung des Lehrplans 21 im Juni 2018 allmählich auf die Nutzung digitaler Medien im Unterricht vorbereiten, traf der Corona-Shutdown einen grossen Teil der Musikschulen überraschend und ohne Vorwarnung.

Zurzeit seien an den siebzig Aargauer Musikschulen von einem Tag auf den anderen rund 20000 Musikschüler im Home-Office zu unterrichten, bestätigt Margot Müller vom Verband Aargauer Musikschulen (VAM).

Unterricht in Echtzeit

Während mit den Video-Calls via Skype, Facetime, Whatsapp oder Zoom der Unterricht in Echtzeit aufrechterhalten werden kann, bieten andere Kanäle wie der Austausch von Videos und Nachrichten über Whatsapp einige Möglichkeiten und Vorteile, auf bisher für den Musikunterricht neuartigen Wegen Lernerfolge zu generieren. 

Es wird so viel kommuniziert wie selten zuvor. Lehrer und Schüler stehen in ständigem Kontakt und Austausch, auch mehrmals die Woche. Die neuen Kommunikationswege führen zu einem Zusammenrücken der Menschen und dienen als Hilfsmittel, um dem Bedürfnis nach Nähe auch in Zeiten, in denen Distanz gefordert wird, gerecht zu werden.

Flexible Feedback-Kultur

Es entsteht eine Feedback-Kultur, die sich zeitlich flexibel nicht am Stundenplan orientiert, neue Kommunikationsformen entstehen lässt und den Austausch zwischen Schüler und Lehrer gar intensiviert. 

So schicken Schüler Videoaufnahmen von Stücken, die sie üben, an den Lehrer, dieser gibt sein Feedback mit einem Lernvideo, einer Sprachnachricht oder ganzen Tutorials zu verschiedenen Themen rund um das Musizieren, wobei die Mustereinspielungen des Lehrers weiterhin für den Schüler verfügbar bleiben. Was sich zeigt, sind eine durch die nun flexiblen Arbeitszeiten hindurch ebenso ausserordentlich enge Zusammenarbeit und ein intensivierter Austausch zwischen Eltern, Musikschullehrern und Schülern.

Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv, die Krise lässt alle an einem Strang ziehen und bewirkt ein allseitig hohes Mass an Solidarität, Verständnis und Engagement. Die Aufrechterhaltung des Musikunterrichts durch das kreative Engagement des Lehrpersonals und der Musikschulleiter sorgt zudem dafür, dass ein Stückchen Normalität im Alltag vieler Familien beibehalten werden kann, und erfüllt somit eine wichtige soziale Funktion.

Gruppenunterricht unmöglich

Der persönliche Kontakt lässt sich nicht ersetzen. Alleine, da Gruppenunterricht nicht möglich ist. Noch fehlen allgemein zugängliche Programme, die das gemeinsame Musizieren per Videochat in guter Klangqualität und schneller Übertragung ohne Zeitversatz ermöglichen.

Auch die musikalische Früherziehung fällt aus. Denn die Nutzung digitaler Medien setzt eine hohe Kommunikationsbereitschaft und Eigenverantwortung der Schüler im Umgang mit selbstständig reflektiertem Lernen voraus. Der Lehrer begleitet diese Lernprozesse mit den zur Verfügung stehenden Mitteln.

Diese gar bedingungslose Anforderung an die innere und äussere Selbstorganisation und Vorbereitung kann beim Erlernen eines Instrumentes jedoch entscheidende Vorteile für den Schüler mit sich bringen und neuen Raum zur Mitgestaltung aufzeigen. 

Gerne wird diese Verantwortung im regulären Unterricht an den Lehrer abgegeben und hindert daran, das Angebot zur kreativen Gestaltung adäquat in Anspruch nehmen zu können. Eine Erkenntnis, welche die Krise im besten Fall überdauert.

Die Einsicht, dass der Musikunterricht weniger etwas ist, was sich konsumieren lässt, sondern vielmehr dazu einlädt, das eigene Lernen und Erleben aktiv mitzugestalten.

Basisarbeit für Musikkultur

Kultur ist mehr als nur ein konsumierbares Gut oder ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Kultur, Musik, Kunst machen den Menschen zum Menschen. Kultur legt den Grundstein für gesellschaftliches Zusammenkommen und schafft den nötigen sozialen Kitt innerhalb der Gesellschaft. 

Musiklehrer und Musikschulen sind Kulturschaffende, betreiben somit die Basisarbeit für die Musikkultur des ganzen Landes und sorgen mit ihrem Einsatz für ein unverzichtbares Fortbestehen des Kulturbetriebes auch in Krisenzeiten. 

Vielleicht bewirkt die Krise mit all dem einhergehenden Verzicht ein neues Bewusstsein für den Wert kultureller Aktivitäten. Die Musikschulen setzen sich in diesen Tagen mit Elan und Kreativität genau dafür ein.

 

Stefanie Osswald ist Musikerin und Musikpädagogin, ist in der Begabtenförderung tätig und unterrichtet das Fach Blockflöte an verschiedenen Musikschulen im Aargau. Sie lebt in Lenzburg und ist freie Mitarbeiterin beim Lenzburger Bezirks-Anzeiger.

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