Mit der Familie zur Lesung in die ehemalige «Heimat»

Lenzburg Der in Staufen und Lenzburg aufgewachsene Concetto Vecchio hat dieses Jahr einen Bestseller über Migration geschrieben, in dem er die aktuelle Situation in Italien mit jener in der Schweiz zu Zeiten der Schwarzenbach-Initiative verglich. Am Samstag kommt er zu einer Lesung ins Pfarreizentrum.

<em>Rückkehr für eine Lesung im Pfarreizentrum der katholischen Kirche Lenzburg:</em> Der italienische Journalist Concetto Vecchio und sein Buch «Cacciateli! Quando i migranti eravamo noi». Foto: zvg

<em>Rückkehr für eine Lesung im Pfarreizentrum der katholischen Kirche Lenzburg:</em> Der italienische Journalist Concetto Vecchio und sein Buch «Cacciateli! Quando i migranti eravamo noi». Foto: zvg

<em>Brüder im Geiste?</em> Der Schweizer James Schwarzenbach…

<em>Brüder im Geiste?</em> Der Schweizer James Schwarzenbach…

…und der Italiener Matteo Salvini.<em> Fotos: key/AP Photo/Andrew Medichini</em>

…und der Italiener Matteo Salvini.<em> Fotos: key/AP Photo/Andrew Medichini</em>

Die ersten 15 Jahre seines Lebens verbrachte Concetto Vecchio im Aargau. Geboren 1970 in Aarau wuchs er an der Konsumstrasse 15 in Staufen auf und besuchte später die Bezirksschule in Lenzburg. Er war bestens integriert, akzeptiert in der Schule und engagiert im Fussball-Club – auch als Teamberichterstatter (vgl. Box unten).

Als 15-Jähriger kehrte er zusammen mit seinen Eltern nach Italien zurück. «Diese Rückkehr nach Sizilien war für mich ein Weltuntergang», erinnert er sich. Das eingespielte Beziehungsnetz war gerissen. «Damals gab es noch keine elektronischen Kommunikationsmittel wie heute; jahrelange hielt ich mit Briefen Kontakt», so Vecchio. Der Italienerbub hatte nur «sehr gute Erinnerungen an Lenzburg»; in seinem Zimmer hing stets eine Mannschaftsfoto der C-Junioren aus der Saison 1984/85.

Augenfällige Parallelen

Während der Studien- und Berufszeit blieb Concetto Vecchio lange Zeit der Schweiz fern. Doch ein Besuch in Zürich weckte in ihm vor wenigen Jahren journalistische Neugierde und er begann, die italienische Migrationsgeschichte in der Schweiz aufzuarbeiten. Dies auch weil er Parallelen entdeckte zwischen der aktuellen Situation in Italien und jener in der Schweiz in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Entstanden ist das Buch «Cacciateli! Quando i Migranti eravamo noi» (Jagt sie fort! Als wir die Migranten waren). «Die Situation damals im Umfeld der Schwarzenbach-Initiative war ähnlich wie jetzt in Italien», so Vecchio. James Schwarzenbach wollte damals die Zahl der Ausländer, hauptsächlich jene der Italiener, in der Schweiz massiv reduzieren. In Kreisen der Gastarbeiter machte sich Angst breit. Die Willkommenskultur wurde unterwandert, doch das Fiasko konnte verhindert werden: Die Initiative wurde kurz vor Concetto Vecchios Geburt im Juni 1970 mit 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

Ein politischer Familienroman

Das Buch, das erst im nächsten Jahr im Orell-Füssli-Verlag auf Deutsch erscheinen wird, ist in Italien ein grosser Erfolg geworden. «Seit Mai wurden bereits fünf Auflagen gedruckt», sagt Vecchio am Telefon. Den Erfolg kann sich der Bestsellerautor selbst nicht so recht erklären.

Aus seiner Erinnerung hat er im Buch festgehalten, was seine Familie in der Schweiz erlebt. «Vor allem die weiblichen Leser lesen das Buch als Familienroman.» Angereichert wurde der Inhalt mit Recherchen über James Schwarzenbach: «Es hat mich erstaunt, wie wenig über ihn bisher publiziert wurde.»

Als Nationalrat und Parteichef der «Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat» erscheint er als Bruder im Geiste des ehemaligen Innenministers Matteo Salvini, der sich in diesem Jahr mit seiner harten Haltung gegen die Immigranten, die Italien auf dem Seeweg erreichen wollten, profilieren wollte. «Salvini kommt im Buch nicht vor, doch alle wissen, dass er gemeint ist», so Vecchio.

Keine Ferien in diesem Jahr

Als Politik-Redaktor bei der «Repubblica» verfolgt Vecchio Salvinis Wirken intensiv. Wegen der Wirren um die italienischen Politkrisen konnte der Journalist in diesem Sommer keine Ferien machen. Sein Urteil über den Lega-Politiker ist hart: «Salvini besitzt keine Humanität. Er hat die Gesellschaft vergiftet. Er will gar keine Lösungen.»

Für den aus der Region Lenzburg stammenden Buchautor sind auch seine Landsleute oft ein Rätsel: «Italien ist voller Widersprüche; viele Italiener wissen nicht, dass Italien 30 Millionen Auswanderer hatte und hat.» Auch deshalb hat er das Buch geschrieben: «Es ist wichtig, dass die Geschichte nicht vergessen wird.»

Die Vorfreude auf die Lesung «daheim» ist gross. Die Eltern begleiten ihn dabei, auch der Vater, der 23 Jahre bei der Möbelfirma Thut in Möriken gearbeitet hatte, sich aber standhaft weigere, Deutsch zu lernen. Concetto Vecchio freut sich auf mögliche Wiedersehen mit Leuten, die ihm in der Kindheit viel bedeutet haben: etwa Bezirksschullehrer Urs Strub, der ihm die «Tagi»-Fernausgabe nach Sizilien nachschicken liess, oder Fussball-Juniorentrainer Stephan Süess, der seine Eltern überzeugte, den Filius tschutten zu lassen.

Samstag, 28. September. 15 Uhr: Lesung von Concetto Vecchio aus seinem Buch «Cacciateli!» im Pfarreizentrum der katholischen Kirche, Bahnhofstrasse 23, Lenzburg (auf Italienisch). Gleichzeitig Fotoausstellung «Da Casa a Zuhause», kuratiert von Margherita Guerra.

Anfänge im LBA

Heute ist Concetto Vecchio ein renommierter Journalist bei der ebenso renommierten Tageszeitung «La Repubblica» in Rom. Doch angefangen hat die journalistische Arbeit in der Region: «Für den Lenzburger Bezirks-Anzeiger schrieb ich meinen allerersten Artikel.» Im zarten Alter von 10 Jahren schrieb Vecchio im Mai 1981 einen Bericht über ein Juniorenspiel beim FC Lenzburg. Er erinnert sich noch an Details: «Dieser folgende Bericht schrieb ein Junior, CV», lautete damals die Einleitung.

Nach dieser Premiere verfasste der Nachwuchs-Sportreporter bis im April 1985 weiter regelmässig Artikel über die Junioren des FC Lenzburg. Zudem war er Zeitungsverträger: «Von 1983 bis 1985 verteilte ich den Bezirks-Anzeiger mit dem Velo.» (tf)

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