«Hirnverständnis kann einiges ändern» – Barbara Studer im Interview

Im Gespräch mit Barbara Studer.Foto: Debora Hugentobler

Rund ums junge Gehirn Barbara Studer ist nicht nur Neurowissenschaftlerin, Unternehmerin und Musikerin – die Lenzburgerin ist auch Mutter von drei Kindern. Am 18. März leitet sie im Verein Familie+ einen Abendkurs für Eltern und ihre Kinder zum Thema Hirnkompetenz, mentale Stärke und Medienachtsamkeit. Im Interview gibt sie Einblicke in ihre persönlichen Schwerpunkte der Erziehung und einen Vorausblick auf Themen des Abends.

Frage: Sie halten Referate in der ganzen Schweiz. Ist es für Sie als Lenzburgerin etwas Besonderes, ein Referat in Lenzburg zu halten?

Ja, ich freue mich sehr darauf. Das ist tatsächlich erst mein zweites Referat in Lenzburg. Ich habe mir vorgenommen, mich lokal etwas mehr zu engagieren. Zum Beispiel in unseren Schulen und dem Altersheim.

In diesem Abendkurs zeigen Sie Eltern, wie sie die eigene mentale Stärke und die ihrer Kinder fördern können. Müssen Eltern immer zuerst bei sich hinschauen, bevor sie ihrem Kind mentale Stärke vermitteln können?

Es ist wirklich so, dass in diesem Alter viel über Abschauen passiert. Das ist etwas hart, weil man als Elternteil natürlich auch Fehler macht und dann schnell einmal denkt, dass die Kinder diese nachahmen. Das Gehirn entwickelt sich in den jungen Jahren sehr schnell und stark, wobei der Frontalkortex, der das Verhalten kontrolliert, noch relativ schwach ist. Deshalb kann man bei Kindern noch weniger über die bewusste Regulationsfähigkeit erreichen als über das Erleben mit Bezugspersonen. Beziehungen sind für den Bereich der Emotionsregulation und der mentalen Stärke sehr wichtig.

Gehen mentale Stärke und Medienachtsamkeit Hand in Hand?

Wenn Medien die Oberhand gewinnen und man Ablenkung zum Normalen macht, ist klar, dass die mentale Stärke darunter leidet. Den Jugendlichen hilft es, wenn sie verstehen, wie ihr Gehirn funktioniert, um sich von Medien nicht alles gefallen zu lassen. Auch wir Eltern müssen über das Thema aufgeklärt sein. Geben wir den Jugendlichen ein Smartphone auf Eigenverantwortung, sind die Jugendlichen die Opfer. Denn ihnen ist es noch nicht möglich, selber ein gesundes Mass zu finden. Ich finde es eine sehr wichtige Aufgabe, den Eltern dabei zu helfen.

Sie werden die Frage thematisieren: «Was braucht das Gehirn, um glücklich zu sein?» Fällt die Antwort für Kinder und Erwachsene gleich aus?

Die Ausprägungen sind anders, aber was man grundsätzlich braucht, ist ähnlich. Bei Kindern sind es Bezugspersonen und die emotionale Bindung. Bei den Erwachsenen ist das genauso, wobei eher in Form von tragenden Freundschaften. Die Faktoren Bewegung, Tageslicht, Schlaf, Zeit draussen – all das bleibt auch im Erwachsenenalter wichtig. Bei den Erwachsenen kommt unter anderem noch die Frage nach der Sinnhaftigkeit dazu, welche gemäss Glücksforschung sehr wichtig ist. Da Kinder noch nicht so weit denken, sind sie oft glücklich mit dem, was sie haben.

An dem Abend werden Sie einen Einblick in das Thema emotionale Balance geben. Sie sagen: «Sprachen der Emotionen sind ausschlaggebend für die mentale Gesundheit.» Wie sehen diese Sprachen aus – und wie sprechen sie die Kinder?

Es geht darum, Emotionen zuerst wahrzunehmen und diese dann zu benennen. Es ist wichtig, zuhause ganz natürlich über Gefühle zu sprechen, um die Selbstwahrnehmung und den Wortschatz der Emotionen zu fördern. Stellt man dem Kind die Frage: «Wie fühlst du dich heute?», sollte die Antwort nicht mit «gut» oder «schlecht» beantwortet sein. Mit Fragen wie «Kannst du benennen, was dich überfordert?», kann die nuancierte Wahrnehmung gefördert werden. Dann erkennt man vielmehr, was die Wurzeln und Ursachen sind, und kann diese gemeinsam angehen.

Auch auf das Thema Brainfitness werden Sie eingehen. Eine Aussage von Ihnen lautet: «Das Gehirn muss man ständig fordern. Benutze es oder verliere es.» Kann man zurück, wenn man es einmal «verloren» hat?

Mit «verliere es» ist gemeint, dass sich die Nervenverbindungen zurückbilden, welche nicht aktiviert und genutzt werden. Das Gute ist, dass man die Verbindungen jederzeit wiederaufbauen kann, das Hirn bleibt veränderbar, bis wir sterben. Grundsätzlich ist es nie zu früh, aber auch nie zu spät – natürlich gilt je früher, desto besser. In den Kinder- und Jugendjahren ist es am einfachsten, etwas aufzubauen, weil sich das Hirn in einer enormen Entwicklung befindet. Wiederaufbauen kann man auch noch mit 90 Jahren, allerdings ist das Aufholen schwieriger. Kontinuität ist etwas Erstrebenswertes – sich nicht unter Druck setzen, aber konstant dranbleiben.

Sie glauben bei der Gehirngesundheit an den präventiven Ansatz. Ist es demnach einfacher, bei Kindern einen Unterschied zu machen als bei Erwachsenen?

Prävention ist nicht auf eine Lebensphase fokussiert. Natürlich ist es am besten, wenn bereits im Kindesalter gute Gewohnheiten aufgebaut werden. Fängt man beispielsweise in jungen Jahren mit Musik an, profitiert das Hirn davon. Beginnt man erst im Alter von 40 Jahren, ein Instrument zu spielen, ist das immer noch gute Prävention gegen Demenz. Als Eltern können wir schon bei den Kindern Prävention machen. Zum Beispiel, indem wir sie lehren, gesund zu essen, damit sie Grundsätze verinnerlichen, ihrem Körper etwas Gutes tun zu wollen.

Ein Drittel der Jugendlichen in der Schweiz ist von psychischen Problemen betroffen. «Gehirnaktivierung und Gehirnberuhigungsübungen helfen für die Prävention», sagen Sie. Helfen solche Übungen auch, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher mittendrin in einer Krise steckt?

Man kann immer etwas machen. Wenn psychische Probleme vorliegen, braucht es Unterstützung, dann ist es alleine schwierig. Aber allgemein kann man sagen, dass Körperübungen oder Atmungsübungen mit Summen oder Singen jedes Hirn beruhigen – auch mitten in einer Krise. Solche Achtsamkeitsübungen sind Werkzeuge, mit denen man das eigene Nervensystem unterstützen kann.

Sie werden Strategien vermitteln, wie Eltern ihre Kinder und sich selbst im Familienalltag unterstützen können. Selber wenden Sie Ihre «Neuro-Hacks» auch an. Wie gut gelingt Ihnen persönlich die Umsetzung der Strategien mit den Kindern?

Wahrscheinlich wie den meisten Eltern: manchmal mehr, manchmal weniger. Klar ist, dass ich den Vortrag nicht als Supermama mache, sondern als Wissenschaftlerin. Ich bin reflektiert in meinem Verhalten und versuche, meinen Kids wertvolle Strategien zu vermitteln und stärkende Aktivitäten zu ermöglichen. Mein Mann und ich versuchen, sie beim Lernen zu motivieren, statt Druck aufzubauen. Lernen ist etwas sehr Emotionales. Motivation und Demotivation sind Teil davon. Und weil im kindlichen und jugendlichen Gehirn die Emotionen noch stärker walten als die Kontrolle, ist es wichtig, sie dabei zu unterstützen.

Fällt Ihnen die Erziehung einfacher mit Ihrem grossen Hintergrundwissen?

Manchmal hilft es, manchmal ist es auch schwieriger. Ich hintersinne mich oft, weil ich es ja besser wüsste. Gleichzeitig hilft es beim Verstehen und bei Entscheidungen. Anstatt mit den Emotionen meines Teenagers mitzuschwingen, versuche ich, mich zurückzunehmen. Ich verstehe, was bei ihm gerade passiert. Es hilft zu wissen, dass das Kind in dem Moment wie ein Dirigent ist, der mit den lauten Instrumenten im «Gehirn-Orchester» noch etwas überfordert ist. Auch hilft mir mein Wissen dabei, dranzubleiben bei Sachen, die wichtig sind. Kinder finden es cool, wenn sie wissen, dass durch eine Aktivität neue Netzwerke im Gehirn entwickelt werden. Hirnverständnis kann einiges ändern.

Wem würden Sie diesen Abendkurs empfehlen?

Willkommen sind alle Personen, die interessiert sind. Seien es Eltern, Fachleute, aber auch Personen, die mit Kindern nichts zu tun haben. Es sind ja auch Themen für sich selber und für sein eigenes Gehirn.

(Interview: Debora Hugentobler)

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