Heimkehr der Lenzburger Abendglocke
Lenzburg Die im Jahre 1935 an Birmenstorf ausgeliehene Abendglocke kehrt nach Lenzburg zur Stadtkirche zurück. Gelegenheit für einen Blick auf ein Stück kommunale Glockengeschichte.
Übermorgen Samstag findet bei der reformierten Kirche in Birmenstorf ein heutzutage seltenes Ereignis statt. Kinder ziehen eine neu gegossene Glocke auf. Diese ersetzt die 500-jährige Glocke, die während 84 Jahren von Lenzburg ausgeliehen wurde.
Lenzburger Geläut bis 1935
Im Jahr 1372 wird erstmals eine Kapelle in Lenzburg erwähnt. Lenzburg gehörte zur Pfarrei Staufberg. 1491 wütete ein Brand in der Stadt. Die Kapelle und zahlreiche Häuser wurden zerstört. Nur 15 Häuser sollen diesen Brand überstanden haben.
Bald darauf wurde die Kapelle am heutigen Standort der Kirche neu und grösser aufgebaut. Für die neue Kapelle wird eine Glocke gestiftet. Es handelt sich dabei um die 1420 gegossene Vieruhrglocke, entnommen dem Geläut der Staufbergkirche.
Im Jahre 1514 wird die Kapelle zur Pfarrkirche erhoben und erhält einen Turm. Fünf Jahre später wird die Abendglocke gegossen und im Jahre 1635 erfolgte der Guss der Elfuhr- sowie der Sturmglocke. Diese beiden schweren Glocken wurden im selben Jahr geweiht und bildeten zusammen mit der Vieruhrglocke und der Abendglocke bis 1935 das Geläut der Stadtkirche Lenzburg im heutigen Turm von 1601.
Der Weg nach Birmenstorf
Nach 300 Jahren beschloss die Kirchgemeinde, das Geläut durch eines mit sechs Glocken zu ersetzen. Am 6. November 1935 wurden die vier Glocken aus dem Turm entfernt und in die Glockengiesserei Rüetschi in Aarau transportiert. Gegen ein Entgelt von 5000 Franken übernahm die Stadt Lenzburg die beiden kleineren Glocken, die Vieruhrglocke und die Abendglocke, in ihr Eigentum.
Hingegen wurden die beiden grösseren Glocken, die Sturmglocke und die Elfuhrglocke, an die Firma Rüetschi verkauft. «Sie wurden aber glücklicherweise nicht eingeschmolzen», hält Johannes Burger in seiner Schrift «Die Glocken der reformierten Stadtkirche von Lenzburg» 2005 fest.
Im gleichen Zeitraum baute die Reformierte Kirchgemeinde Birmenstorf auf dem über dem Dorf gelegenen Bollenrain eine neue Kirche. Die reformierte Kirchenpflege verhandelte mit der neuen Eigentümerin, der Firma Rüetschi, über die Übernahme der zwei grösseren Glocken. Die Kirchgemeinde konnte sie zunächst leihen, später günstig erwerben.
Nach Zögern willigte zudem die Einwohnergemeinde Lenzburg ein, die beiden kleineren Glocken leihweise nach Birmenstorf zu vergeben. Am 23. Dezember 1935 konnten die vier Glocken bei wildem Schneetreiben in den Birmenstorfer Turm gezogen werden. Bis 2002 läuteten die Glocken 67 Jahre lang in der alten Lenzburger Formation im Turm der neuen Kirche Birmenstorf.
Denn 2002 ergab sich die Gelegenheit, die zweitkleinste Vieruhrglocke wieder dem Ort ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückzugeben, nämlich in die Kirche Staufberg. Damals wurde die Kirche aussen renoviert und der Turm saniert. Die in Birmenstorf nunmehr fehlende Glocke ersetzte die Giesserei Rüetschi 2002 durch eine neue mit demselben Ton.
Birmenstorf feiert die neue Glocke
An diesem Samstag, 15. Juni, wird die neue Glocke um 10 Uhr mit Ross und Wagen zur Kirche auf dem Bollenrain hochgefahren. Vorbereitet ist eine kurze liturgische Feier zur Begrüssung der neuen Glocke und zur Rückgabe der just 500 Jahre alten Abendglocke an Lenzburg.
Um 11.15 Uhr werden Kinder die neue Glocke in den Turm ziehen. Auf Einladung nehmen seitens Lenzburg der Stadtrat und die reformierte Kirchenpflege teil. Gezeigt wird zudem ein Film über den Glockenguss am vergangenen 15. März in der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau.
Am Sonntagvormittag, 30. Juni, ertönt erstmals das Vollgeläut zur Einweihung der neuen Glocke. Turmbläser treten auf und der reformierte Kirchenchor bereichert den Festgottesdienst, der bewusst draussen auf dem Kirchplatz beginnt, um das erstmalige Läuten mit offenen Herzen aufnehmen zu können. Die Einladung ist überschrieben mit «Kinder lachen, die Glocke läutet, Gläser klingen». Als Verpflegung winkt eine Grillwurst. Der würdevolle, ja emotionale Anlass endet mit dem Pflanzen eines Gedenk-Apfelbaumes auf der Pfrundwiese neben der Kirche.
Die Zukunft der Abendglocke
Pläne Für den Transport der 393 Kilogramm schweren Abendglocke nach Lenzburg ist das Lenzburger Bauamt beauftragt. Bis der endgültige Standort im Areal der Stadtkirche vorbereitet ist, wird die Glocke geschützt zwischengelagert, entweder im Areal der Firma Rüetschi in Aarau oder im Lenzburger Bauamt. «Der Ort der Zwischenlagerung ist noch nicht geklärt», sagt Kirchenpflegepräsident Johannes Burger.
Zwischen Kirche und Pfarrhaus
Als definitiver Standort schält sich der Raum zwischen der Stadtkirche und dem Pfarrhaus heraus. Die Pläne sind noch nicht ausgereift. Die Lenzburger Kirchenpflege möchte, dass die Glocke nicht stumm auf einer Vorrichtung ihr Leben fristen soll. Dem Gremium schwebt vor, einen Glockenstuhl anfertigen zu lassen und die Abendglocke mit dem h’-Ton gezielt zum Schlagen oder Läuten zu bringen.
Die Lenzburger Stadthostessen hätten auf Führungen einen Punkt mehr, um zu verweilen und den Teilnehmenden lebendig ein Stück Stadt- und Kulturgeschichte zu vermitteln. Die Bevölkerung wird zu gegebener Zeit zum Empfang der 84 Jahre an Birmenstorf ausgeliehenen Glocke und zum Einbau in den massgeschneiderten Glockenstuhl zu einer Feier eingeladen. (AG)