«Halbbatziges ist mir nie gelegen»
Nach insgesamt 17 Jahren beim Lenzburger Bezirks-Anzeiger (LBA), davon 5 Jahre als freie Mitarbeiterin, 5 Jahre als Redaktorin und die letzten 7 Jahre als Redaktionsleiterin, bricht Beatrice Strässle im 2017 zu neuen Ufern auf. Sie eröffnet zusammen mit ihrem Lebenspartner im Piemont ein Bed & Breakfast und erfüllt sich damit einen lange gehegten Traum. Im Interview – für einmal in der ungewohnten Situation der Befragten – blickt sie auf ihre journalistische Tätigkeit zurück.

Beatrice, morgen ist Dein letzter Arbeitstag beim LBA. Wie fühlst Du Dich?
Beatrice Strässle: Ich bin gegenwärtig noch so im Schuss, dass ich noch gar nicht weiss, wie ich mich ohne den LBA fühlen werde. Mit der ganzen Hektik zum Jahresende – letzte Gemeindeversammlungen, letzter Chlausmärt, lauter letzte Veranstaltungen – hatte ich gar keine Zeit zum Nachdenken (schmunzelt).
Du eröffnest im März mit Deinem Partner im Piemont ein Bed & Breakfast. Woher nimmst Du den Mut für einen derart einschneidenden Schritt?
Eventuell braucht es mehr Mut, hier zu bleiben. Für mich persönlich ist es kein einschneidender Schnitt, sondern einfach ein weiterer Schritt auf meinem Lebensweg, der mir viel Neues bringen wird, auf das ich mich freue. Ausserdem hat mein Partner seine familiären Wurzeln dort unten. Wir haben uns das Ganze ja reiflich überlegt, denn man gibt doch eine gewisse Sicherheit auf. Aber wir sagten uns: Wenn schon, denn schon und verkauften unsere Wohnung. Halbbatziges ist mir nie gelegen.
Was sagen Deine erwachsenen Söhne zu Eurem Projekt?
Bevor wir uns entschieden haben, haben wir mit ihnen geredet und beide sagten spontan «Ja, mach das!». Und es ist ja auch keine so riesige Entfernung. Wir haben ein sehr herzliches Verhältnis, aber im Alter meiner Söhne ist man als Mutter nicht mehr der Lebensmittelpunkt. Das macht es leichter.
Du hast eine Ausbildung als medizinisch-technische Praxisassistentin absolviert, den Beruf aber nie ausgeübt. Wie hast Du Dein Talent zum Schreiben entdeckt?
Ich glaube nicht, dass ich ein besonderes Talent zum Schreiben habe. Im Gegenteil, ich war immer eher kritisch gegenüber meiner Schreibe.
Und wie hast Du den Zugang zum Journalismus gefunden?
Ganz einfach: durch ein Inserat von «Kromer», der eine redaktionelle Mitarbeiterin für den Lenzburger Bezirks-Anzeiger suchte. Der damalige Redaktionsleiter Richard Wurz – mein Vor-Vor-Vorgänger – engagierte mich vom Fleck weg.
Wie war das für Dich, als Neuling auf die Leute losgelassen zu werden? Und welches war dein erster Auftrag?
Eine Zitterpartie mit einer schlaflosen Nacht. Mein erster Auftrag war die Einweihung des Bahnhofes in Holderbank. Was heute ein Routineanlass ist, war es damals für mich, als ob ein Staatsoberhaupt empfangen würde.
Was gefällt oder gefiel Dir besonders an diesem Beruf?
Kein Tag ist wie der andere. Auch wenn der LBA nur eine Wochenzeitung ist, weiss man am Morgen nie, was der Tag noch alles bringt. Das ist faszinierend.
Welches waren Deine Lieblingsthemen?
Schwierige Frage (überlegt). Ich habe eigentlich keine ausgesprochenen Lieblingsthemen, sondern hatte einfach gerne Kontakt mit normalen Leuten, interessierte mich für ihre Anliegen und ihre Geschichten. Ich hätte manchmal gerne so etwas gemacht wie Kurt Aeschbacher: Leute und ihre Geschichte vorstellen.
Was mochtest Du überhaupt nicht?
(wie aus der Pistole geschossen) Umfragen; die machte ich überhaupt nicht gerne. Die Leute antworten zwar meistens bereitwillig, winken aber entsetzt ab, sobald ich den Fotoapparat zücke.
Erinnerst Du Dich an ein besonders eindrückliches Ereignis?
Es gab sehr viele eindrückliche Ereignisse. Ich begeistere mich sehr schnell für etwas und muss dann oft meine Eindrücke zuerst etwas setzen lassen, bevor ich mit Schreiben beginne.
Was würdest Du als die schönsten Seiten Deines Berufes bezeichnen?
Als Redaktionsleiterin konnte ich sehr selbstständig arbeiten und war völlig frei in der Themenwahl. Es gibt wohl kaum einen abwechslungsreicheren Beruf. Ein spannendes Erlebnis war die letzte Lega, als wir drei Tage lang als Tageszeitung herausgekommen sind. Das war für alle Beteiligten eine Herausforderung.
Wie empfandest Du den Umgang mit den Behörden im Einzugs- gebiet des LBA?
Das Verhältnis mit den Behörden war immer sehr gut. Wichtig war dabei, dass immer die gleiche Person mit den Behörden verhandelte.
Hast Du auch erlebt, dass man Dich brandschwarz angelogen hat?
Ja, und das von einem Lenzburger. Ich habe seine Aussage blauäugig im LBA abgedruckt und musste mich am nächsten Tag eines Besseren belehren lassen. Als Konsequenz habe ich im Jahr darauf sein «Eingesandt» nicht mehr publiziert, da ich nicht sicher sein konnte, dass es stimmt. Es war mir aber auch eine Lehre, dass Aussagen von Drittpersonen gründlich überprüft werden müssen.
Wie siehst Du die Zukunft des LBA?
Der LBA führt ein berechtigtes Dasein, da er das Leben im Bezirk abbildet, querbeet vom Turnerabend bis zum Hypi-Abschluss. Diese Vielfalt ist eine Chance.
Wie würdest Du Deine Zeit beim LBA zusammenfassen?
Es war eine unglaublich intensive Zeit, in der ich manchmal an meine Grenzen gekommen bin.
Was hättest du gerne noch getan als Redaktionsleiterin?
Eigentlich hätte ich ganz gerne einmal eine Jugendfest- oder eine 1.-August-Rede gehalten.
Was wird Dir in Zukunft am meisten fehlen?
(Schmunzelt) Dass ich nicht mehr einfach so auf Deutsch drauflosplaudern kann. Deshalb will ich so schnell als möglich mein Italienisch verfeinern. Aber auch die Zeitung wird mir fehlen, denn die selbstständige und abwechslungsreiche Arbeit hier hat mir gut gefallen.
Wie findet man Dich, wenn man Dich in Deinem neuen Zuhause besuchen möchte?
Einfach auf www.casafossello.it reinschauen. In Montabone, in der Provinz Asti, haben wir ein Stückchen Himmel auf Erden gefunden, welches wir mit unseren Gästen gerne teilen möchten.