Ein Schloss-Gemälde verrät Spuren von Hermann Hesse

Lenzburg Ein erst kürzlich bei den Nachkommen der Familie Hesse in der deutschen Eifel aufgetauchtes Aquarell von Schloss Lenzburg, gemalt von Hesse-Sohn und Künstler Bruno Hesse, gibt nun Aufschluss über die Beziehung des Literatur-Nobelpreisträgers Hermann Hesse zur Aargauer Kleinstadt und der Arztfamilie Müller.

<em>Die mittelalterliche Lenzburg in gleissendem Licht:</em> Aquarell vom Schloss, gemalt von Bruno Hesse, Sohn von Hermann Hesse. Foto: Stefanie Osswald

<em>Die mittelalterliche Lenzburg in gleissendem Licht:</em> Aquarell vom Schloss, gemalt von Bruno Hesse, Sohn von Hermann Hesse. Foto: Stefanie Osswald

<em>Aktuelle Sicht:</em> Blick auf Schloss Lenzburg vom Müllerhaus aus. Foto: Stefanie Osswald

<em>Aktuelle Sicht:</em> Blick auf Schloss Lenzburg vom Müllerhaus aus. Foto: Stefanie Osswald

Seit jeher übt die Stadt Lenzburg auf Kreative – Musiker, Maler, Denker und Schriftsteller – eine gewisse Anziehungskraft aus. Zahlreiche namhafte Künstler wie Peter Mieg, Sophie Haemmerli-Marti oder Frank Wedekind fanden auf ihrem Lebensweg in Lenzburg einen Ort kreativer Entfaltung und des schöpferischen Wohlbefindens.

Nun tritt ein anderer auf die Bildfläche, der seinerzeit in den Wohnzimmern Lenzburgs mit Selbstverständlichkeit ein- und auszugehen schien und eine Spur hinterlässt, die bis heute erstaunlicherweise mehrheitlich unbeachtet blieb. Hermann Hesse.

Malen auf der Müllerhaus-Veranda

Lenzburg im Sommer 1925. Die Sonne strahlt und zeigt die mittelalterliche Lenzburg in gleissendem Licht. Bruno Hesse, der älteste Sohn von Hermann Hesse, steht auf der Veranda des Müllerhauses am Bleicherain und malt. Nach der Trennung seiner Eltern 1919 und dem Wegzug seines Vaters nach Montagnola im Tessin lebte der dazumal gerade einmal 20-jährige Bruno Hesse 1925 bei dem Schweizer Künstler und Familienfreund Cuno Amiet auf der Oschwand, einem kleinen Weiler im Oberaargau.

«Wie und in welchem geschichtlichen Kontext das auf das Jahr 1925 datierte Aquarell der Lenzburg aus Privatbesitz tatsächlich entstand, lässt sich bis zum jetzigen Zeitpunkt der Recherchen noch nicht eindeutig rekonstruieren. Die Perspektive auf die Lenzburg könnte jedoch auf einen Besuch des Hesse-Sohnes Bruno im Hause Müller hindeuten», berichtet die in Lenzburg lebende Enkelin von Rosa und Bruno Hesse, die zurzeit die Verbindung von Hermann Hesse zur Stadt Lenzburg anhand von bestehenden Quellen aufarbeitet.

Zum Aargau pflegte Hermann Hesse in diesen 1920er-Jahren stets eine intensive Beziehung und hielt sich seit 1923 regelmässig in Baden zum Kuren auf. Er und sein Sohn Bruno trafen sich häufiger in der Region wieder.

Unbestreitbar sei der enge und freundschaftliche Kontakt der in Lenzburg sesshaften Arztfamilie Müller zu Hermann Hesse. Detaillierten Aufschluss darüber gebe insbesondere der rege, in den Archiven Lenzburgs lagernde Briefkontakt zwischen Anna Müller-Gallmann und Hermann Hesse. Zudem befänden sich in Anna Müllers Nachlass ein Dutzend kleine originale Aquarelle von Hermann Hesse, jedes von einem Gedicht begleitet.

Der Freundeskreis der Müllers

Der jüngere Sohn von Arzt Adolf Müller-Fischer, Hans (1897–1989), schlug den Berufsweg des Vaters ein und studierte Medizin. Während seiner Studien an der Uni Zürich traf er seine zukünftige Gattin und Germanistikstudentin Anna Gallmann (1897–1978). Das junge Paar heiratete im Januar 1925 in Zürich und bezog kurzerhand die Wohnung im zweiten Stock des heutigen Müllerhauses am Bleicherain, in der sie die väterliche Arztpraxis weiterführten.

Korrespondenz mit Dichtern

Die studierte Germanistin Anna war ein belesener, geistreicher Mensch und träumte trotz mangelnder Zeit und Musse davon, selbst eine Dichterin zu werden. Einige kleinere Prosastücke und drei schmale Gedichtbände zeugen von ihrer dichterischen Gestaltungskraft. 1969 veröffentlichte die geborene Zürcherin einen Lenzburger Druck unter dem Titel «Wie ich Lenzburgerin wurde». Darin legt sie Zeugnis darüber ab, was ihr an ihrer neuen Heimat Lenzburg besonders lieb und teuer ist.

Eine tiefe Freude bereitete Anna Müller auch die Verbindung und Briefkorrespondenz zu lebenden Dichtern und Schriftstellern. Kurze Briefe von Hermann Hesse und kürzere Arbeiten von ihm, bald mit Grüssen, bald mit sehr persönlichen Widmungen an Anna Müller, bezeugen, dass Anna Müller während Jahrzehnten Hesses Schaffen nicht nur intensiv verfolgt, sondern auch stets mit ihm korrespondiert hat.

Zufallsfund in der Eifel

Das bei einem Familienbesuch in der Eifel aufgetauchte Aquarell des Hesse-Sohnes Bruno lässt aufmerksam werden auf eine weitere Periode der Geschichte Lenzburgs. Ein identitätsstiftender Zufallsfund aufmerksamer Lenzburger, dessen Geschichte zwei sich bisher unbekannte Orte und ihre Menschen miteinander verbindet.

Wieder einmal wird die Kleinstadt im Aargau zum Schmelztiegel des kulturellen Austausches bis weit über die Landes- und Epochengrenzen hinaus.

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