Botschafter-Depesche zu Hero-Ravioli in Saudi-Arabien
In der Geschichte der internationalen Beziehungen der Schweiz ist Lenzburg kein unbeschriebenes Blatt. Eine amüsante Trouvaille aus dem Schweizerischen Bundesarchiv zeigt, wie Hero-Ravioli in den 1970er-Jahren neue Märkte eroberten.
Die Archivschachteln riechen nach Staub, Papierentsäuerungsmittel und dem kühlen Mief des Tiefenmagazins. Das Aktenmaterial zur schweizerischen Aussenpolitik im Kalten Krieg, das ich von Berufs wegen tagtäglich durchforsten darf, atmet den Geist der Bundesverwaltung.
Darin findet sich aber auch viel Zeitgeist, mitunter in hoch dosierter Form. Als Heimweh-Lenzburger schlägt mich jeder Bezug zur alten Heimat in den Bann. So etwa, als mein Historikerkollege Yves Steiner bei seiner Forschung zu den Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz zu Saudi-Arabien kürzlich ein Dokument zur «Hero» zutage förderte.
In bin in Sichtweite zur «Konservi» aufgewachsen, noch bevor das Traditionsunternehmen von Arend Oetker aufgekauft wurde. Meine Mutter musste mit ihren Geschwistern noch auf den Hero-Plantagen Trübeli lesen. In der Nachkriegszeit besserten die Kinder mit ihrer Ferienarbeit das karge Familienbudget auf.
Konfi und Ravioli konfisziert
Das fragliche Dokument wirft uns nicht ganz so weit zurück: Das Schreiben von Botschafter Max Casanova datiert vom 31. Juli 1973. Es handelt von den Importproblemen des Lenzburger Nahrungsmittelherstellers in Saudi-Arabien. Eine Ladung Pfirsich-, Quitten- und Kirschkonfitüre wurde damals im Rotmeer-Hafen von Dschidda blockiert. Das Verdikt der saudischen Zollbehörden über die Fracht: «Zu wenig Fruchtinhalt».
Gleichzeitig war in der saudi-arabischen Hafenstadt Dammam am Persischen Golf auch eine Raviolisendung von den Behörden konfisziert worden. In Lenzburg fühlte man sich ob der als Gängelung empfundenen saudischen Massnahmen beleidigt. Das Management erwog, die Lieferungen in das Wüstenkönigreich gänzlich einzustellen.
Der Botschafter vermittelt
Botschafter Casanova bemühte sich in der Affäre redlich um Vermittlung. In seiner Korrespondenz mit der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements wies er darauf hin, dass auch andere Nahrungsmittelimporteure im Königreich der Al Saud regelmässig vor ähnlichen Problemen stünden.
Er gab sich gewiss, dass die blockierten Sendungen freikommen würden. Ein überstürzter Rückzug könne der Hero einen wichtigen Marktzugang verbauen. Dabei betonte Casanova den hohen Stellenwert, den die Lenzburger Convenience-Produkte in seinem Residenzland genössen: «Man würde es hier sehr bedauern, wenn die Hero Lenzburg einfach durch einen ‹coup de tête› ihre Lieferungen nach Saudi-Arabien einstellen würde.»
Hero-Ravioli für «sua eccellenza»
«Die Hero-Erzeugnisse sind – obwohl bedeutend teurer als andere ausländische Produkte – hier sehr beliebt und werden nicht nur von den Europäern, sondern auch von der oberen Schicht der einheimischen Bevölkerung gekauft», schrieb der Botschafter. «Beispielsweise wurden vor einigen Wochen anlässlich des Abschiedsessens des Aussenministeriums für den italienischen Botschafter Hero-Ravioli als erster Gang serviert», so Casanova.
Man schmunzelt. Ob Massimo Casilli D’Aragona sich über die Reverenz an der italienischen Küche gefreut hat? Ich bin versucht zu denken, dass «sua eccellenza» es als kulinarischen Affront empfunden haben muss.
40 Jahre seit dem «Kassensturz»
Man stelle sich den Gesichtsausdruck des altgedienten Diplomaten vor, als er die glitschigen Teigtaschen in Püree mit der Gabel an den Mund führte. Unweigerlich drängen sich die Bilder der legendären, als Agentenkrimi aufgemachten Kassensturz-Sendung von 1978 auf.
Basierend auf einer Studie der Stiftung für Konsumentenschutz präsentierte der Beitrag übermorgen Samstag vor exakt 40 Jahren dem Fernsehpublikum Innereien und Schweineköpfe als unappetitlichen Inhalt von Schweizer Büchsenravioli. Die im Film nicht namentlich genannte Hero forderte Schadenersatz in Millionenhöhe.
Zurück nach Saudi-Arabien: Wie erfuhr denn die Tischgesellschaft 1973 überhaupt die Herkunft der Vorspeise? Am Geschmack erkannt? Oder wurde die geöffnete Konservenbüchse, wie eine gute Flasche Wein, als Qualitätsbeweis herumgereicht? Oder stand im Menü: «Premier plat – Ravioli à la Hero»?
Das Dokument beschreibt auf jeden Fall amüsant und anschaulich ein Stück Zeitgeschichte. Es zeugt von der internationalen Expansion eines gewichtigen Vertreters der schweizerischen Exportindustrie. Und von einem noch ungebrochenen Fortschrittsglauben am Ende der drei «goldenen» Nachkriegsjahrzehnte, kurz vor der Zäsur von Ölkrise und Rezession, welche die Industriestaaten erschütterten. Von einer Zeit, wo Hero-Ravioli auch im Wüstenreich der puritanischen Wahhabiten als «Kulturträger» des kapitalistischen Fortschritts galten.
* Der Autor ist Mitarbeiter der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz.