Bei Finstar gibts flache Hierarchien und eine etwas andere Firmenkultur
Lenzburg Die Hypothekarbank Lenzburg ist digitaler als andere Geldinstitute. Dies ist der offenen Banken-Software Finstar zu verdanken, die im Haus entwickelt wurde und stets weiterentwickelt wird. Nun hat diese Abteilung im «Schneeflöcklihaus» eigene Büros bezogen.
Beim Augenschein in den neuen Finstar-Räumen im «Schneeflöcklihaus» am Seetalplatz könnte leicht ein falscher Eindruck entstehen: Nur die wenigsten Arbeitsplätze im Grossraumbüro vis-à-vis dem «Hypi»-Hauptsitz sind belegt. Der Grund ist einfach: «Freitag ist Home-Office-Day, da arbeiten die meisten Mitarbeiter daheim», sagt Daniel Monras, Leiter Applikationsmanagement bei der Hypothekarbank Lenzburg.
Man könnte Monras auch Finstar-Chef titulieren. Doch vielleicht würde er da widersprechen, denn er hält fest, «dass bei uns flache Hierarchien bestehen». Nicht nur bei den für das Bankwesen ungewohnten Arbeitszeiten, sondern bei vielen andern Details sei man «ein Vorbild» für den Rest der «Hypi»: «Wir liefern der Personalabteilung viele Inputs.»
«Diskussionen anregen»
Ihre etwas andere Arbeitskultur können die rund zwei Dutzend Finstar-Mitarbeitenden besser ausleben, seit sie im letzten Dezember aus dem zweiten Stock des Hauptgebäudes der Hypothekarbank an der Bahnhofstrasse 2 ins benachbarte gläserne Bürohaus an der Bahnhofstrasse 4 gezogen sind. «Der Betonbau aus den 1970er-Jahren ist für kreativ tätige Software-Entwickler sicher nicht optimal geeignet», hält Marianne Wildi, die äusserst Technologie-affine Vorsitzende der «Hypi»-Geschäftsleitung, fest.
In der Tat gleicht das neue Finstar-Büro eher den Arbeits-Tummelfeldern moderner Technologiefirmen wie etwa dem Schweiz-Sitz von Google in Zürich. Für die persönlichen Utensilien gibt es Trolleys. Ruhe findet man in Gesprächsboxen, wohin man sich zu zweit oder in kleinen Gruppen zurückziehen kann. An den Arbeitsplätzen stehen Kopfhörer zur Verfügung, die Aussenlärm schlucken. Weisse, abwaschbare Wände laden zum spontanen Anbringen von Notizen aller Art ein. «Ein Hauptziel ist es», so Monras, «Diskussionen anzuregen.»
In den Sitzungszimmern stehen hochmoderne digitale Flipcharts zur Verfügung. Hier ist Finstar wieder Versuchskaninchen für die «Hypi»: Bewähren sie sich, werden die teuren Geräte vielleicht bald im ganzen Betrieb angeschafft und angewendet.
«Hypicracy» als neue Denkweise
Wichtiger als die technischen Spielereien sind jedoch die unterschiedlichen Arbeitsweisen. Anlehnend an das innovative Organisations-System Holacracy, das gemäss eigenen Angaben «schnelle Veränderungen und strukturelle Anpassungen bei wechselnden Rahmenbedingungen ermöglicht», hat man hier den Begriff «Hypicracy» kreiert. Entscheide werden schneller, direkter und pragmatischer gefällt. Monras spricht gar von «bewusst gelebter Anarchie».
Etwas Ordnung braucht es schon. Deshalb formuliert es CEO Marianne Wildi, die regelmässig an Finstar-Planungssitzungen teilnimmt, so: «Die einzelnen Mitarbeitenden können sich direkter einbringen, wir kombinieren so Wissen und unterschiedliche Denkansätze. Dies bringt uns gemeinsam weiter, allerdings ist die Eigenverantwortung höher als in hierarchischen Strukturen.»
Ganz bewusst wird der Fortgang der einzelnen Projekte in einem ebenso schlichten wie raffinierten Zettelsystem am sogenannten Kanban-Board verfolgt. Diese Tasks sind noch viel detaillierter in einer digitalen Plattform abgebildet, es zeigt aber die praxisnahe Arbeitsweise, welche «analog» und «digital» optimal kombiniert.
Separater Brand – aber im Haus
Bei all den Differenzen bei der Arbeitskultur stand bei der «Hypi» nie zur Diskussion, die Software-Entwicklung durch Bildung einer eigenen Firma auszulagern: «Uns ist die Nähe wichtig, denn nur so können wir viele Synergien nutzen», ist die Geschäftsleitungsvorsitzende überzeugt.
Nicht zuletzt durch die von ihr selbst initiierten IT-Strategie habe die «Hypi» nun einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz: «Während andere Banken nun anfangen, im Haus Technologiekompetenz aufzubauen, haben wir im Jahr 2000 damit begonnen und somit einen Vorsprung von gut 18 Jahren.»
Dank der offenen Bauweise der Finstar-Software kommt die «Hypi» in Kontakt mit neuen Partnern und kann von deren Innovationskraft profitieren. Marianne Wildi: «Die Kooperation mit verschiedenen Partnern macht die Arbeit an der Software manchmal stressig, aber auch spannend.»
Bei der Auswahl der Partner, alles Firmen aus der Finanzbranche, ist die «Hypi» wählerisch: «Die Kunden müssen zu uns passen», so Wildi, «wir entwickeln nur Dienstleistungen, die wir auch selbst anwenden können.»
«Wichtiger Ertragspfeiler»
Finstar «Zu einem wichtigen Ertragspfeiler entwickeln sich die Einnahmen aus den Lizenzen und Servicedienstleistungen für die Bankensoftware Finstar, die wir für andere Institute im Sinne eines Outsourcings betreiben. Sie…konnten erfreulich auf 5 Millionen Franken ausgebaut werden. … Wie bereits in den Vorjahren wurden sämtliche Investitionen in das IT-System Finstar vollumfänglich abgeschrieben, und Finstar wurde um verschiedene Funktionen erweitert. Im Zusammenhang [mit dem Programm ‹Harmonisierung Zahlungsverkehr Schweiz›] wurden die nötigen Funktionen und Schnittstellen bereitgestellt, damit unsere Kunden ihre Zahlungen über Filetransfer ausführen, Kontobewegungen automatisch abstimmen oder in ihrer Finanzbuchhaltung abbilden können.»
Geschäftsbericht 2018,
Hypothekarbank Lenzburg
Fast wie das Jugendfest
Generalversammlung Immer am dritten März-Samstag findet die Aktionärsgeneralversammlung der Hypothekarbank Lenzburg statt, heuer übermorgen, am 16. März. Hier nehmen die Miteigentümer der «Hypi» nicht nur Kenntnis vom Geschäftsgang und stellen Weichen für die Zukunft – allermeistens im Sinne des Verwaltungsrates, der hier ebenfalls jährlich zu bestätigen ist –, sondern treffen sich anschliessend beim offerierten Znacht in den Gastrobetrieben der Stadt zum gemütlichen Gedankenaustausch. Deshalb schreibt die «Hypi» in der Medieneinladung zur GV ganz unbescheiden vom «zweitgrössten gesellschaftlichen Anlass in Lenzburg». Selbstredend steht nur noch das Jugendfest darüber. (tf)