Anstand zeigen

Bisweilen ärgern wir uns immer wieder, wenn Leute kein Benehmen haben. Entweder stehen sie für Ältere im Tram oder Bus nicht auf oder es wird achtlos Papier oder Verpackungsmaterial weggeschmissen oder liegen gelassen. Typisch sind auch die Drängeleien im Verkehr, die uns nervös machen. Dies sind tagtägliche Beobachtungen. Warum fehlt die gegenseitige Rücksichtnahme? Warum verhalten sich viele Menschen egoistisch und unachtsam?
Eine Antwort ist der allgegenwärtige Individualismus, der den Menschen suggeriert, nur die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sei das höchste Gut. Dagegen hält uns die Philosophie ihre Tugendlehre vor Augen. Diese hat eine jahrtausendealte Tradition. Wir sprechen hier auch von sogenannten Kardinaltugenden.
Die erste und wichtigste ist jene der Klugheit, aus ihr lassen sich die anderen Tugenden ableiten. Wer klug handelt, so die Überlegung, ist achtsam und handelt mit Bedacht. Sofern man nicht Böses im Sinn hat, ergibt sich aus der Klugheit ein gerechtes Handeln. Die Gerechtigkeit ist die zweite dieser Tugenden. Wer klug ist, teilt und behält nicht alles nur für sich.
Die dritte Kardinaltugend ist die der Tapferkeit. Das ist heute ein veralteter Begriff. Besser würde man in unserer Zeit von Autonomie sprechen. Wir handeln nach unserem Gewissen und zeigen Anstand in jeder Situation. Nicht alles und jedes wird geschluckt und akzeptiert. Wir stehen für unsere Meinungen ein und zeigen, wenn es sein muss, auch einmal Mut.
Die letzte der Kardinaltugenden ist Mass halten. Das Mass zeigt uns immer die goldene Mitte. Gemeint ist damit eine Zurückhaltung in allem, weil uns zu viel krank und zu wenig geizig und einsam macht.
Wenn wir diese Tugenden beherzigen, können wir mit Freude und Anstand das Leben geniessen.Volker Schulte
Unter «Tipp zum Alltag» schreiben Jörg Kyburz und Volker Schulte jeweils in der letzten Ausgabe des Monats an dieser Stelle über psychologische Aspekte im Alltag. Die beiden Autoren leiten den CAS-Studienlehrgang Achtsamkeit in Lenzburg.