Tapetenwechsel

Christine von Arx

Das Problem der optischen Reizüberflutung – wir kennen es. Es begann womöglich nicht erst mit Insta & Co. Die Ursprünge könnten in den bunten und üppig bedruckten Papierbahnen liegen, die im 19. Jahrhundert gross in Mode kamen. Tapeten zierten die heimischen Wände und breiteten sich als Blütenträume, epische Landschaften und Götterszenen aus. Kühn kombiniert mit schrillen Bordüren.So auch in der 250 Jahre alten Villa Sonnenberg. Bei der jüngsten Renovierung entblätterte sich, Schicht um Schicht, ein Kaleidoskop alter Tapetenfragmente. Besonders erfreulich und zugleich überraschend: Man riss die alten Papierbahnen nicht einfach ab, nein, man tapezierte munter drüber. Die Historikerin in mir jubelt angesichts dieses Pragmatismus, der von Geschichtsverständnis zeugt. Warum die Geschichte entsorgen, wenn man sie doch so wunderbar weiterschreiben kann.

Ein Tapetenwechsel ist stets ein Abenteuer, eines in Schweiss und Staub. Doch wer scheut den Aufwand, wenn man dafür dem Leben neue Bahnen legen kann? Es heisst: Ein Tapetenwechsel bringe Veränderung, weite den Horizont, eröffne neue Perspektiven, schaffe Aufbruchsstimmung oder gar Befreiung. Das Risiko reist dabei immer im Gepäck, wie Hildegard Knef zu singen weiss: «Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke, und macht sich in der Dämmerung auf den Weg.» Nur um dann an der Bahnschranke wartend vom Beil des Försters getroffen zu werden und als Kommode zu enden.

Ganz wehmütig denkt sie an den Birkenhain zurück. So soll es jetzt die «roten Rosen» der Knef regnen. Denn mit dem Blütenzauber der Rosentapete im Hintergrund kommt die Kommode bestimmt voll zur neuen Geltung. Die Tapete aber bitte in monochrom, um nicht beim eingangs erwähnten Problem zu landen.

Christine von Arx, Historikerin

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