Zwischen Rampenlicht und Gitterstäben
Lenzburg Rund ein Jahr, nachdem Friedrich Dürrenmatt hundert geworden wäre, inszeniert das Gefängnistheater Schweiz das Stück «Die Panne». Ein Probenbesuch hinter Gittern.
Heute sind sie wieder zusammen, die sieben Gefangenen und Mitwirkenden des Theaterstücks «Die Panne» der JVA Lenzburg. Umgeben von Gittern – und einem Geruch, der die Nase unweigerlich darauf stösst, dass hinter meterdicken Mauern Frischluft keine Chance hat. Weil auch Abwechslung und Ablenkung Luxus im Gefängnisalltag sind, fiebern die Insassen der JVA Lenzburg schon Tage zuvor den Probennachmittagen, die seit rund vier Monaten stattfinden, entgegen. «Während der Proben vergesse ich alles um mich herum und bin kreativ. Ein wertvoller Ausgleich zum Gefängnisalltag», erklärt einer der Insassen seine Motivation.
Inszenierte Gerichtsverhandlung
«Die Panne» handelt von den grotesken Folgen einer Autopanne. Textilvertreter Alfredo Traps hat eine Panne und kommt für die Nacht in einem Landhaus unter. Dort wird er zum Herrenabend geladen, wo die Rentner Abend für Abend ihre früheren Berufe durchspielen: Sie werden wieder zu Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Henker. Traps spielt aus Höflichkeit mit und übernimmt die Rolle des Angeklagten.
Er gerät immer tiefer in Verstrickungen, bis er am Ende nicht mehr zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden kann. Regie führen Annina Sonnenwald und Simona Hofmann, beide Teil der Theatergruppe «Ausbruch», die seit zehn Jahren Gefängnistheater realisiert. Es sind spektakuläre Produktionen zwischen Kunstanspruch, Knast und Bürokratie.
Ihre Idee war es auch, das Ganze in einem Boxring zu inszenieren. «Erst kämpfen die Männer mit Fäusten, dann mit Worten – eine symbolträchtige Entwicklung», erklärt Sonnenwald. Das Stück überrascht und begeistert. Die Probe ist ein Vorgeschmack auf das, was das Publikum erwartet: ein Theatererlebnis aus unmittelbarer Nähe – und eine wirklich coole Show.
Frei von Vorurteilen
Mitmachen dürfen grundsätzlich alle der knapp 160 Gefangenen im Strafvollzug. «Es melden sich aber nie viele – diesmal waren 20 Insassen interessiert und kamen zum Casting», erklärt Gefängnisdirektor Ruf. Geprobt wird in der Freizeit, die Texte lernen die Männer in ihren Zellen. Während der Probe herrscht höchste Konzentration, die Gefangenen spielen mit Eifer und Engagement.
Regisseurin Hofmann gibt letzte Anweisungen, korrigiert die Choreografie. «Was auch immer diese Leute auf dem Kerbholz haben, wir sind hier, um richtig gutes Theater zu spielen, nicht, um zu urteilen», sagt sie. Die Frage nach Gerechtigkeit und Schuld sind zentrale Themen in Dürrenmatts Stück, deshalb bringt die jüngste Theaterproduktion diese Intention wohl bestens auf den Punkt.
«Die Panne» wird ab 1. September in der JVA Lenzburg elfmal aufgeführt. Es gibt noch freie Plätze: Tickets unter www.ausbruch.ch.