«Man sollte sich immer daran erinnern, dass man Gast ist im Wald»

Wald An der heutigen Mitgliederversammlung von Wald Freiamt-Lenzburg tritt der frühere Ammerswiler Gemeindeammann Hanspeter Gehrig nach 15 Jahren als Präsident zurück. Nachfolgend nimmt er Stellung zu verschiedenen Aspekten rund um den Wald.

Tritt nach 15 Jahren als Präsident von Wald Freiamt-Lenzburg zurück: Hanspeter Gehrig, hier im Lenzburger Wald. Foto: Romi Schmid
Tritt nach 15 Jahren als Präsident von Wald Freiamt-Lenzburg zurück: Hanspeter Gehrig, hier im Lenzburger Wald. Foto: Romi Schmid

Mitte Nullerjahre hat die kantonale Abteilung Wald die Anzahl der Forstkreise von 6 auf 4 reduziert. Der Aargauer Waldwirtschaftsverband hat damals seine Sektionen entsprechend angepasst. Die zentrale Sektion Lenzburg-Seetal wurde dabei auf drei umliegende Sektionen aufgeteilt. Die Forstbetriebe Rupperswil, Möriken, Lenzburg, Seengen und Dintikon kamen zum Freiamt. So entstand die Organisation Wald Freiamt-Lenzburg, in der Hanspeter Gehrig eine zentrale Rolle spielte.

Seit wann sind Sie Präsident von Wald Freiamt-Lenzburg?

Hanspeter Gehrig: Seit 2007. Zusammen mit den Förstern von Dintikon und Seengen wurde ich als Ammerswiler Gemeinderat 2006 in den Freiämter Vorstand delegiert. Dieser hatte die Aufgabe, die Struktur des Vereins anzupassen und neue Statuten zu erstellen. Schon in einer der ersten Sitzungen wurde mir vom damaligen Präsidenten Hansruedi Brun (Merenschwand) eröffnet, dass ich an der Gründungsversammlung 2007 als neuer Präsident vorgeschlagen werden solle. Als neuer Gemeindeammann von Ammerswil (ab 2007) hat mich diese regionale Aufgabe gereizt – schliesslich ging es ja um Wald. Ich wurde im November 2007 an der ersten Mitgliederversammlung des Waldwirtschaftsverbandes Freiamt-Lenzburg in Möriken-Wildegg zum Präsidenten gewählt. Später haben wir uns dann wie unsere «Holding» WaldAargau in Wald Freiamt-Lenzburg umbenannt.

Was war damals Ihre Motivation, dieses neue Amt zu übernehmen?

Ich war schon seit 1999 in der Forstkommission Ammerswil. Als neuer Gemeinderat im Jahr 2000 erhielt ich den Auftrag, das damalige (und noch nicht alte) Konstrukt des Forstbetriebes Lano zu hinterfragen und auf eine bessere Organisationsform hinzuarbeiten. Stadtoberförster Frank Haemmerli musste damals für jede der vier Gemeinden eine eigene Rechnung führen und obendrauf noch die konsolidierte Betriebsrechnung. Nach anfänglichem Zögern arbeiteten alle Gemeinden mit und das Resultat war der Forstbetrieb Lenzia. Ich war also im Thema drin.

Aber es gab offensichtlich nicht nur solche technische Aspekte?

Natürlich kamen Softfaktoren dazu: Ich bin im Walddorf Ammerswil aufgewachsen, mein Elternhaus wurde mit Holz geheizt, als OL-Läufer wurde dann aus dem Spielplatz Wald der Sportplatz Wald und schliesslich hatte ich sehr viel später noch das Glück, Privatwaldbesitzer zu werden. Der Wald gibt mir vieles, da kann ich auch etwas zurückgeben.

Wie wichtig sind solche regionale Organisationen neben Wald Aargau und den einzelnen (meist schon mehrere Gemeinden umfassenden) Forstbetrieben?

Interessante Frage: Wald Freiamt-Lenzburg deckt 60 Gemeinden ab, und dies mit nur 13 Forstbetrieben. Eine Regionalisierung hat also aus ökonomischen Gründen schon lange stattgefunden. Jeder Forstbetrieb wird von einem Fachmann geführt und darüber steht jeweils die Forstbetriebskommission. Jeder Betrieb hat seine eigene Art zu arbeiten und seine ganz speziellen Herausforderungen. Wir wollen regionale Lösungen anbieten, die über den Einzelbetrieb hinausgehen, für die aber WaldAargau schon eher zu gross ist.

Wald Freiamt-Lenzburg deckt also ein Riesengebiet ab. Eine Herausforderung?

Ich habe immer darauf geachtet, die Zusammensetzung im Vorstand möglichst vielfältig zu haben. Grosse und kleinere Forstbetriebe, von Auenstein/Veltheim bis Dietwil sind alle Regionen vertreten, Frauen und Männer, Förster und Gemeinderäte. Inklusive Kreisförster sind wir sieben Leute im Vorstand, haben eine gute Sicht, was alles passiert, und kennen unsere Mitglieder. Ideen und Probleme können effizient angegangen werden.

Welche Schwerpunkte setzten Sie während Ihrer Amtszeit?

Wir haben nie wirklich eine langfristige Planung gemacht – dies machen die Förster. Sie müssen 20, 50 und 100 Jahre vorausdenken und dabei geht es nicht nur um Ertrag in Form von Wertholz oder kohlenstoffdioxidneutraler Energie, sondern auch um die Frage «Was muss ich machen, um in 50 oder 100 Jahren immer noch Wald zu haben, der sich nutzen lässt, und immer noch auch für Biodiversität, Naturschutz und als Erholungswald nutzbar ist?». Mit wenigen Ausnahmen haben wir maximal ein bis zwei Jahre vorausgeplant. Uns haben Stürme, Borkenkäfer, Eschenwelke, Neophyten und ihre Auswirkungen auf den Wald beschäftigt. Da waren Mehrkosten zu tragen bei schlechten Holzpreisen.

Die Bedeutung des Waldes hat sich während Ihrer Präsidialzeit gewandelt?

Die Bedeutung des Waldes als Wert- oder Bauholzlieferant ging zu Gunsten Energieholz stark zurück und kommt jetzt erst wieder langsam zurück. Dazu kam auch mehr Freizeitnutzungsdruck auf den Wald zu: mehr Bewohner im Kanton, Waldkindergärten, illegale BMX-Pisten, viele Mountainbiker und in den letzten zwei Jahren viele «Waldanfänger», da man dort auch ohne Maske sicher war. Da haben wir mitgearbeitet, Anstösse gegeben und unsere regionale Sicht eingebracht. Was von diesen Themen lokal zu lösen war, sind wir angegangen.

Wie sehen Sie im Moment die Bedeutung des Waldes im Spannungsfeld zwischen Energieproduzent und Freizeitpark?

Die Frage belustigt und erschreckt mich zugleich – der fantastische Baustoff Holz ging doch glatt vergessen. Aber genau das war in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit so und ändert jetzt zum Glück und durch viel Arbeit und Innovation im Bereich Holzbau auch wieder. Die Nutzung von Holz geschieht nachhaltig – es wird also nur so viel genutzt wie auch nachwächst, darum betrachten wir Holz auch als kohlendioxidneutral. Unser Verein steht aber nicht nur für Holz ein, sondern für den ganzen Wald mit all seinen Funktionen. Freizeitnutzung ist eine davon: spazieren gehen, Ruhe haben, ein Feuer machen und eine Wurst bräteln, biken, OL, Pilze sammeln, Vögel beobachten und zusätzlich – als Mischung aus Notwendigkeit und Hobby – die Jagd. Dies soll und muss alles möglich sein.

Kommt dies alles aneinander vorbei?

Natürlich gibt es Nutzungs- oder Zielkonflikte. Die Freizeitnutzung nimmt zu, weil es immer neue Ideen gibt, was im Wald gemacht werden könnte, und weil die Bevölkerung wächst. Es wäre schon viel gewonnen, wenn alle Waldnutzer verstehen, dass der Wald und sein Strassennetz jemandem gehören und sich entsprechend verhalten würden. Auch wenn der Wald vielleicht der Gemeinde gehört, in der man Steuern zahlt, und nicht an jeder Ecke Verbotsschilder und Überwachungskameras installiert sind, sollte man sich daran erinnern, dass man Gast ist im Wald. Der Wald wurde nicht als Freizeitpark konzipiert, sein Wegnetz dient der Bewirtschaftung und sein Holz soll vom Besitzer sinnvoll genutzt werden können, um Bewirtschaftung und Pflege zu finanzieren.

Wie sieht es in Zukunft aus?

Der Druck auf den Wald wird weiter steigen. Zum Glück sind der Waldbestand und seine Nutzung gesetzlich geregelt, aber die Forstbetriebe haben immer mehr Aufgaben, die ihnen niemand finanziert.

Welches sind die aktuellen und die künftigen Herausforderungen von Wald Freiamt-Lenzburg?

Weiter für den Wald als Ganzes lobbyieren, mithelfen, Nutzungskonflikte zu vermindern, und versuchen, die finanzielle Situation der Forstbetriebe zu verbessern.

Was ist der Auslöser für Ihren Rücktritt?

Ich bin aus diesem Amt schon mal zurückgetreten und musste kurz vor der entscheidenden Mitgliederversammlung eine Kehrtwende machen. Mein damaliger Nachfolger hat aus persönlichen und für mich nachvollziehbaren Gründen kurzfristig die Zusage zurückgezogen. So habe ich auf Anfrage meiner Vorstandskollegen verlängert. Für mich ist dieses Mandat eigentlich an den Gemeinderatsjob gebunden. Im Vorstand dieses Vereins sollen aktive Gemeinderäte und Forstbetriebsleiter Einsitz haben. Da ich immer noch in der Forstbetriebskommission Lenzia bin und bezüglich Wald gute Kontakte habe, ging das.

Haben Sie einen Lieblingsplatz in einem Wald, wo man Sie auch künftig regelmässig antreffen wird?

Als OL-Läufer war ich in hunderten oder tausenden von Wäldern weltweit. Ich bin Waldfan. In der Schweiz begeistert mich der Jura. Immer wieder wird man mich aber im Lütisbuech und noch mehr im Rietenberg antreffen. Wir besitzen dort zum einen ein kleines Waldstück und zum anderen dürfe dort die Chance gross sein, mal das Ammerswiler Wappentier (einen Hirsch, Red.) anzutreffen.

Waldpreisvergabe als zentrale Aufgabe

Versammlung An der heutigen Mitgliederversammlung von Wald Freiamt-Lenzburg in Dottikon wird Hanspeter Gehrig als Präsident und Vorstandsmitglied abgelöst. Nachfolgekandidaten sind der Dietwiler Gemeindeammann Pius Wiss als Präsident und der Lenzburger Stadtoberförster Matthias Ott als Vorstandsmitglied. Zudem wird der jährliche Waldpreis an die gastgebende Firma Schäfer Holzbautechnik AG vergeben. Gehrig ist dieser Preis wichtig: «Er wird vergeben an Firmen, Organisationen, Einzelpersonen für Aktionen, Angebote oder Massnahmen rund ums Thema Wald, die einen Anforderungskatalog erfüllen. Die drei wichtigsten Kriterien: innovativ, nachahmenswert und regional.»(tf)

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