Erleichterung: Der «Velo-Lockdown» ist am nächsten Montag zu Ende
Region: Ab dem 11. Mai dürfen auch Fachhändler wieder Velos und E-Bikes im Laden verkaufen, unter strenger Einhaltung der geltenden Abstand- und Hygieneregeln. Diese Zeitung hat sich bei drei Betrieben umgehört und in erster Linie positiv gestimmte Geschäftsführer erlebt. Man ist froh, dass es endlich wieder richtig losgeht. Aber auch dankbar dafür, dass man bisher überhaupt arbeiten durfte.
Werner Stutz (58) führt seit 1991 sein Radsport-Fachgeschäft in Fahrwangen. Der ehemalige Profirennfahrer und Träger des Tour-de-Suisse-Leadertrikots – 1987 nach seinem Prologsieg in Affoltern am Albis – hat in den knapp 30 Jahren des Bestehens seines Betriebs einiges erlebt. 2012 erweiterte er die Ladenfläche, kurz darauf wurde bei ihm eingebrochen und 44 hochwertige Sporträder wurden geklaut.
Den aktuellen Inhouse-Verkaufsstopp wegen des Coronavirus und der Schutzmassnahmen nimmt Stutz erstaunlich gelassen. Er empfängt den Journalisten im Büro und meint: «Natürlich bin ich froh, dass wird ab dem kommenden Montag wieder die Verkaufsräume für die Kundschaft öffnen dürfen. Dank der Tatsache, dass wir die Werkstatt nie schliessen mussten, konnten wir jedoch immer Vollzeit durcharbeiten.»
Alte Velos fahrtauglich gemacht
Für sich sowie seine zwei Mechaniker und die beiden Lernenden habe er glücklicherweise keine Kurzarbeit anmelden müssen. «Bei uns läuft es sehr gut», sagt Stutz und schiebt schmunzelnd nach: «Ich glaube, in diesen Wochen hat die ganze Region die alten Velos aus dem Keller geholt.» Diese mussten nun fahrtauglich gemacht werden.
Trotz der erfreulichen Auftragslage in der Werkstatt wird der Umsatz in den beiden «Coronamonaten» im Vergleich zur selben Zeitspanne im Vorjahr tiefer sein. Grund: Mit dem Verkauf von Velos, E-Bikes und Zubehör wird in derselben Zeit mehr Geld umgesetzt als mit mechanischen Arbeiten.
Es ist indes nicht so, dass Stutz seit Mitte März überhaupt keine Zweiräder verkaufen konnte. Zum einen wurden die bereits vorher bestellten Räder ausgeliefert, zum anderen hätten sich Kunden dank einer Probefahrt zum Kauf überzeugen lassen. «Probefahrten durften wir durchführen, einfach mit den nötigen Hygienemassnahmen», erklärt Stutz. Von seinen Kunden haben er und seine Angestellten in den vergangenen Wochen nur positive Rückmeldungen erhalten, so der Chef. «Man hat goutiert, dass wir für die Anliegen aller da waren.»
Mit Aktionen die Leute abholen
Auch beim 2-Rad-Center von René Hartmann in Lenzburg läuft der Betrieb trotz Verkaufsverbot im Laden auf Hochtouren. «Wir haben in der Werkstatt eine ähnlich gute Auslastung wie in anderen Jahren zu dieser Zeit auch», bilanziert Hartmann. Weil noch bis am kommenden Montag im Laden keine Beratung angeboten werden kann, erfolge der Verkauf von Helmen und sonstigem Zubehör via Telefon und per E-Mail.
Auch wenn der Lockdown sein Geschäft nicht allzu schwer getroffen hat, ist auch Hartmann froh, dass ab dem 11. Mai wieder Normalbetrieb herrschen wird: «Wir hoffen jetzt natürlich, dass es im Verkauf nun so richtig losgeht. Unsere Kunden möchten ihr Traumbike im Laden selber aussuchen und sich beraten lassen. Auch einen Helm oder Schuhe kauft man lieber mit persönlicher Beratung.»
Um das Verkaufsgeschäft so richtig anzukurbeln, bietet Hartmann Aktionen an und werde auch weiterhin solche Schnäppchen im Sortiment haben. Die voraussichtliche Umsatzeinbusse von 30 bis 40 Prozent während des zweimonatigen Verkaufsstopps hofft er mit einem guten Sommer wettmachen zu können.
Roland Fischer vom gleichnamigen Zweiradsportgeschäft in Seon und einer Filiale in Buchs schlägt in dieselbe Kerbe wie seine beiden Berufskollegen in Fahrwangen und Lenzburg: «Wir hatten und haben viel zu tun in der Werkstatt. Es ist unglaublich viel gelaufen.»
Neuer Mechaniker statt Kurzarbeit
Für sich und seine Mitarbeitenden hatte Fischer für alle Fälle Kurzarbeit angemeldet. Doch diese Option musste er nicht einlösen – im Gegenteil! «Wir haben dermassen viel zu tun, dass ich temporär einen zusätzlichen Mechaniker einstellen konnte.»
Wer bei Fischer ein Velo geordert hat, muss jetzt nicht drei Wochen auf das Rad warten wie sonst üblich. Der Geschäftsleiter: «Wir können alle Räder montieren und diese dann ohne Lieferfrist den Kunden übergeben.» Immerhin ein positiver Aspekt in der aktuellen schwierigen Lage.
Trotzdem: Auch Fischer sehnt den kommenden Montag herbei, wenn er seine Kunden wieder im Laden beraten darf.
Hoffen auf «Schweizer Sommer»
Alle drei Unternehmer sind dankbar, dass sie ihre Betriebe nie ganz schliessen mussten, anders als viele andere Kleinunternehmer. «Andere hat es viel schlimmer getroffen. Wir hatten Glück und werden diesen Frühling finanziell überstehen», sagen alle drei unisono. Vielleicht mit einem hellblauen Auge, aber voraussichtlich ohne bleibende Schäden.
Und wenn der kommende Sommer ähnlich gutes Wetter bringen wird wie der Frühling, ja dann kommt alles gut. Weil Herr und Frau Schweizer die Sommerferien heuer, so wird vermutet, grossmehrheitlich im eigenen Land verbringen werden. «Mit einem Velo bei schönem Wetter durch unsere Region fahren – was will man mehr?», fragt Werner Stutz aus Fahrwangen rhetorisch.
Verzögerung ist «eine Frechheit»
Verband Hobby- und Baumärkte dürfen bereits seit dem 27. April Fahrräder und Velozubehör im Laden verkaufen, die Fachhändler erst zwei Wochen später am kommenden Montag, 11. Mai. «Wir sind enttäuscht über diesen Entscheid», kommentierte der Verband 2rad Schweiz die bundesrätlichen Richtlinien, «unsere Betriebe haben mittlerweile vier Wochen Erfahrung mit dieser ausserordentlichen Lage. In dieser Zeit haben sie gelernt, wie die notwendigen Abstände und Hygienevorschriften eingehalten werden können, wie der Zahlungsvorgang ablaufen muss und welche weiteren Massnahmen im Geschäft notwendig sind. Das haben die Zweiradbetriebe sehr gut gemacht.»
Kaum überraschend finden auch die Fachhändler diese Wettbewerbsverzerrung nicht fair. «Dass wir erst zwei Wochen später verkaufen können, ist eine Frechheit», sagt beispielsweise Roland Fischer von der Zweiradsport Fischer GmbH in Seon. Werner Stutz von Radsport Stutz in Fahrwangen äussert sich folgendermassen: «Grundsätzlich finde ich es unglücklich, dass nicht alle Händler gleich behandelt werden. Aber, seien wir ehrlich, wir Fachhändler haben nicht dieselbe Kundschaft wie die Hobbymärkte.» Wer sich ein edles Rennrad für mehrere tausend Franken oder ein teures Mountainbike leisten will, wende sich so oder so an den Fachhändler seines Vertrauens. Stutz: «Da kommt es auf ein paar Wochen nicht drauf an.»
René Hartmann vom 2-Rad-Center in Lenzburg möchte sich zum Thema nicht gross äussern, sagt dann aber pointiert: «Ich finde, dass wir die kleineren Läden unterstützen sollten. Sonst ist die Altstadt bald eine Geisterstadt und die Leute müssten dann ihr Velo mit dem Auto zum Grossdiscounter bringen.» (rubu)