Am Traditionsanlass werden Traditionen grosszügig interpretiert
Chlausmärt Selbst Pandemien lassen Traditionen nicht sterben: Nach zwei Jahren Pause lud der Stadtrat Lenzburg die Gemeindeammänner und -schreiber des Bezirks zum Treffen ins Burghaldenhaus.
In Lenzburg ist man grosszügig mit dem Verteilen des Begriffs «Tradition». Findet ein Anlass zum dritten Mal statt, ist er bereits traditionell. Eine echte Tradition ist die Zusammenkunft der Ammänner und Kanzler im Burghaldenhaus am Nachmittag des Chlausmärts. 2023 jährt sich der Anlass bereits zum 75. Mal.
Zum Vorjubiläum freute sich Stadtammann Daniel Mosimann, die Gäste aus den Aussengemeinden «nach zwei Jahren Zwangspause» wieder im eigentlich viel zu engen Saal willkommen zu heissen. Die wehrhaft fusionsresistenten Gemeindevertreter sorgten zusammen mit den Gästen von Gericht, Stadtrat und -verwaltung für eine hitzige Atmosphäre, wobei dies nur die Temperatur und keineswegs den Umgang betraf, denn an diesem Nachmittag ist protokollfreie Lockerheit Trumpf.
Die Heizleistung der 54 anwesenden Personen, so hat Mosimann ausgerechnet, entspricht etwa 16 Litern Heizöl. Nicht alle Welt, aber immerhin.
Schweres Los
Gastreferent im ersten Jahr nach der Coronapause war Regierungsrat Markus Dieth. Der Finanzdirektor hielt sich perfekt an die Vorgabe: «Unterhaltsam und launig» sollte die Rede sein. Selbstkritisch erkannte Dieth, dass «Ausführungen zu Finanzen keine Begeisterungsstürme auslösen». Er als Säckelmeister des Kantons verglich sich mit dem Samichlaus: «Wir sind beide verwandt und haben ein schweres Los.»
Das «Säckli-oder-Ruten-Prinzip» werde auch vom Finanzdirektor angewandt, wobei er öfter als Schmutzli auftreten müsse: als Mahner und Spielverderber. Weniger als notorischen Bremser wahrgenommen wird Markus Dieth als kantonaler Landwirtschaftsdirektor. Über eine Milliarde Franken Wertschöpfung zeichnet die Aargauer Landwirtschaft aus. Diese Zahl mag etwas abstrakt erscheinen, doch die Tatsache, dass hier rund eine Million Hühner lebt, mehr als Menschen, war eine Neuigkeit, die selbst viele Zuhörer erstaunte.
Aufschnittplättli statt Wurstwegge
Wie lebhaft in der Stadt Lenzburg Traditionen interpretiert werden, zeigte sich nach der Pause. Anstelle der bisher üblichen Wurstweggen und Chäschüechli (für die einige in weiser, aber diesmal unnötiger Voraussicht bereits das Sackmesser gezückt hatten) gab es diesmal Aufschnitt- und Käseplättli, zu denen der örtliche Wein ebenfalls schmeckte. Beim Rebensaft hatte sich die einladende Stadt nicht lumpen lassen und für einmal den im Barriquefass gereiften Pinot noir kredenzt; schliesslich hatte man zwei Jahre keine entsprechenden Auslagen.
Gespannt wartete die Gesellschaft auf den Auftritt vom Stadtchlaus. Für einmal mit auffallend hoher Stimme resümierte er verschiedene Vorkommnisse aus den Gemeinden, erteilte verbal Säckli oder Ruten. In den Spitzenzeiten erfolgte dies noch in Versform, doch inzwischen ist alles lockerer geworden, Prosa statt Poesie.
Die früher eherne Regel, wonach Frischlinge, also Personen, die erstmals an der Chlausmärtzusammenkunft teilnehmen, ein Versli aufzusagen haben, ist eh schon längst durchlöchert, doch Jeanine Glarner als Gemeindeammann von Möriken-Wildegg hielt sich an die Tradition: Sie gab so dem Finanzdirektor Forderungen mit auf den Weg nach Aarau.
Der Stadtchlaus liess die Anwesenden Preise schätzen und Gemeindewappen malen; es machte sich fast Skilagerstimmung breit, ehe die Versammelten im «Ochsen» und anderswo weiterfeierten.