«Schön schiessen und Tag geniessen»
Dintikon Der 55-jährige Stephan Häggi hat in Holland an der Europameisterschaft im Bogenschiessen Gold geholt. Dies trotz zerfetztem Kabel an seinem Bogen.

Während des 5-tägigen Wettkampfs im Bogenschiessen im Feld bemerkte ich, dass ein Spannkabel an meinem Compound (einem Hightech-Pfeilbogen) angerissen ist», sagt Stephan Häggi. Mit einem solchen Bogen wäre es unmöglich gewesen, die Europameisterschaft zu beenden. «Zusammen mit meinen Gruppenkollegen haben wir das Kabel geflickt», sagt Häggi. Dies sei kein einfaches Unterfangen gewesen.
Faire Mitstreiter
Und es sei alles andere als selbstverständlich, dass einem von den Mitstreitern, die ja zugleich Konkurrenten sind, geholfen wird. Umso mehr schätzte er diesen Freundschaftsdienst, der es ihm ermöglichte, den Wettkampf zu beenden. Nicht genug. Mit diesem Titel holte er zugleich zwei neue Europarekorde und egalisierte einen dritten. Bei einer solchen Meisterschaft, die draussen im Gelände stattfindet, gilt es, bei 28 Posten je viermal auf Zielscheiben zu schiessen. Die Scheiben sind in unterschiedlicher Distanz zwischen 6 und 73 Meter aufgestellt. Und wer nun denkt, dass diese Tafeln immer schön auf ebener Fläche stehen, der irrt.
Wichtig – regelmässiges Training
«Es gibt Situationen, in denen man den Schuss steil bergauf richten muss oder dann genau in die andere Richtung», sagt der 55-Jährige. Auf jede Tafel werden vier Pfeile abgeschossen. Je präziser man in die Mitte trifft, umso besser natürlich. «Mir lief es richtig gut an dieser EM. Dies bestimmt auch deshalb, weil ich regelmässig und viel trainiere», betont er.
Genauso wichtig sei auch das Mentale, das Bei-sich-Sein, sich konzentrieren können. In einem autogenen Training hat er gelernt, am Wettkampf alles rund um ihn herum auszublenden. So kann er die Konzentration ganz auf den Bogen, den Pfeil, die Spannung und schlussendlich den Schuss lenken. Wenn dann ein Schuss doch nicht ganz so gelingt wie erhofft, kann er dies wunderbar stehen lassen. «Einfach die Ruhe bewahren und sich auf die nächste Scheibe fokussieren. Alles andere macht nur nervös und dann gelingt erst recht nichts mehr», weiss er aus Erfahrung. Ganz nach dem Motto: «Schön schiessen und den Tag geniessen.»
Die Zugkraft für den Bogenschützen beim Spannen des Pfeils beträgt gut 60 Pfund. Der Pfeil selber darf und kann bis 300 Kilometer pro Stunde erreichen. Nebst den Wettkämpfen draussen im «Field» gibt es auch Hallenwettkämpfe und 3D-Turniere. Stephan Häggi schiesst alle drei Kategorien. Sportmässig hatte er vorher schon einiges ausprobiert, etwa Tennis oder Fussball. «Bogenschiessen ist jedoch etwas, bei dem man auch im Alter noch erfolgreich sein kann.»
Täglich trainiert der 55-Jährige, der seit seinem 21. Lebensjahr als selbstständiger Hafner und Plattenleger arbeitet, an Waldrändern oder auf Wiesen. Selbstverständlich so abgesichert, dass keine Menschen oder Tiere gefährdet sein könnten. «Um erfolgreich zu sein, ist dies unablässig», betont er. Seit neun Jahren trainiert er intensiv, vorher eher plauschmässig, wenn er gerade Lust dazu hatte. Doch nun ist der Ehrgeiz geweckt. Einige grössere Meisterschaften im In- und Ausland hat er bereits erfolgreich bestritten. Jetzt bereitet er sich auf die Hallen-Europa- meisterschaft in Nordirland vor, die im nächsten Frühling über die Bühne geh
Einmal in Las Vegas dabei sein
«Mein grosses Ziel ist jedoch Las Vegas, der härteste Wettkampf überhaupt», sagt er. Rund 3000 Bogenschützen messen sich jedes Jahr dort. Das Auswahlverfahren ist happig und für die am Schluss rund 16 Verbleibenden die sportliche Herausforderung ihres Lebens. «Das Finale besteht darin, auf 18 Meter ein Fünfräppler-grosses Loch exakt in die Mitte zu treffen.» Bis er sich für diesen Event anmeldet, will er erst noch weitere europäische Wettkämpfe bestreiten.