Diagnose – moralisch defekt

Möriken-Wildegg Doris Eichenberger hat nach der Pensionierung begonnen, das Leben ihrer leiblichen Mutter zu erforschen, die Stationen eines wirren Lebens zu ergründen. Aus einer Fülle von Dokumenten und Befragungen ist eine Biografie entstanden.

Nach Jahren intensiver Recherche: Doris Eichenberger freut sich, dass die Biografie ihrer Mutter nun gedruckt vorliegt. Foto: Carolin Frei
Nach Jahren intensiver Recherche: Doris Eichenberger freut sich, dass die Biografie ihrer Mutter nun gedruckt vorliegt. Foto: Carolin Frei

Ich wusste nicht viel über meine leibliche Mutter, sah sie erstmals, als ich im Kindergartenalter war, und nachher vielleicht noch dreimal», sagt Doris Eichenberger, die nach der Geburt von der Mutter getrennt wurde. Und das, was die heute 69-Jährige von Verwandten über ihre Mutter zu hören bekam, waren vor allem Schreckensbilder und Gerüchte. Pauline Schwarz, geboren 1918, war fünfmal verheiratet, gebar fünf Kinder von vier verschiedenen Ehemännern. Und weil sie immer wieder mal einen Diebstahl oder Betrug verübte, stand sie 14-mal vor Gericht und verbrachte beinahe zehn Jahre hinter Gittern. Einige davon in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg. Und nicht nur dort. Sie wurde zudem in den psychiatrischen Einrichtungen Burghölzli, Rosegg und in Königsfelden behandelt – wo man ihr die Diagnose «moralisch defekt» aufdrückte. Vier ihrer fünf Kinder wurden ihr sofort nach der Geburt weggenommen und fremdplatziert. Eines davon war Doris Eichenberger, die nach ein paar Übergangspflegeorten von der Schwester ihres leiblichen Vaters und deren Mann adoptiert wurde. «Ich hatte es gut dort», sagt sie.

Keine Wunschmutter

Ihre leibliche Mutter hingegen traf sie aber nur viermal – und das passte so für sie. «Eine solche Person wünscht man sich nicht wirklich als Mutter», sagt ­Eichenberger. Und doch hat es ihr keine Ruhe gelassen, diesen Schreckensbildern und Gerüchten, die ihr immer wieder zu Ohren kamen, nach ihrer Pensionierung nachzugehen.

Bei Gemeinden, im Stadt-, Staats- und Bundesarchiv sowie mit Zeitzeugen hat sie alles an Dokumenten und Informationen zusammengetragen, was es über Pauline Schwarz zu finden gab. Die Recherche gestaltete sich alles andere als einfach, wechselte Pauline doch häufig den Wohnort und den Familiennamen. Gewohnt und gearbeitet hat sie unter anderem in Auenstein, Lenzburg, Niederlenz, Veltheim und Wildegg.

Doris Eichenberger sammelte in acht Bundesordnern Material. Material, das sie auf Empfehlung des Archivs St. Gallen der Autorin Lisbeth Herger zur weiteren Recherche und zur Verfassung einer Biografie überliess. Die Aufarbeitung all der Daten war intensiv, die Zusammenarbeit zwischen Eichenberger und Herger ebenfalls. Nach vier Jahren ist sie nun da – die Biografie der 1982 verstorbenen Pauline Schwarz. «Meine Gefühle meiner Mutter gegenüber waren nie wirklich freundlich. Doch als ich all die Facetten aus ihrem Leben gebündelt im Buch nachgelesen hatte, empfand ich Mitleid mit meiner Mutter. Einer Frau, die es auch nicht immer einfach hatte.»

Die Namen der Protagonisten im Buch sind anonymisiert. Zum Schutz der Verwandten. Ein Bruder und eine Schwester von Doris Eichenberger sind bereits gestorben, ein Bruder möchte keinen Kontakt. Ihre älteste Schwester hat sie vor vielen Jahren ausfindig gemacht. Die beiden verstehen sich sehr gut, teilen sich seit Jahren eine Wohnung in Möriken. Ihre Schwester hat mit Pauline Schwarz längst Frieden geschlossen, Doris Eichenberger dank der Aufarbeitung ihrer Lebensgeschichte nun auch.

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