101 Gedichte für Menschlichkeit
Schafisheim Der 1996 in der afghanischen Hauptstadt Kabul geborene Journalist und Schriftsteller Hejerat Anwari kam 2015 als Geflüchteter in die Schweiz. Sein Journalismus-Studium konnte er nicht mehr abschliessen, weil er seine Heimat verlassen musste. Das Schreiben nahm er mit.

Für sein auf Dari (Persisch) und Deutsch verfasstes Erstlingswerk «101 Gedichte für die Menschlichkeit» erhält der in Schafisheim wohnhafte Schriftsteller den Literaturförderpreis des Aargauer Kuratoriums – seine Gedichte öffnen eine Tür in die literarische Erzähltradition und Kultur eines im Westen vergessenen Landes. Auszug aus dem Gedicht Safran:
(...) Es steckt dein Wert,
In kleinen dünnen Fäden,
Wie in unsrem Leben,
Wer im Grossen sucht, der irrt (...)
Anwaris Lyrik spricht von Flucht, dem Ankommen in der Fremde, dem Recht auf Freiheit, Identität und dem Umgang der Menschen mit ihrer Natur. Mit aufgeklärtem Blick evozieren die Gedichte bildreich die Millionenstadt Kabul und das Leben der Menschen, die unter den anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen leiden.
Eine fremd wahrgenommene Kultur
Stilistisch bewegen sie sich im Rahmen romantisch-klassizistischer Dichtungstradition Afghanistans, ohne dabei unkritisch zu sein. Sie gewähren Einblicke in eine im globalisierten Westen noch immer als fremd wahrgenommene Kultur und werfen andererseits irritierende und doch aufschlussreiche Aussenblicke auf europäische Lebensweisen.
Afghanistan beherbergt ein Jahrhunderte bis Jahrtausende altes, reiches kulturelles Erbe und blickt auf eine reiche Kulturgeschichte zurück. Doch von der blühenden Kultur aus der Zeit vor sowjetischer Okkupation in den 1970er-Jahren und der anschliessenden Schreckensherrschaft der radikal-islamistischen Taliban drang nur wenig in den Westen.
Viele Intellektuelle, Journalisten, Künstler, darunter auch Schriftsteller, mussten das Land verlassen. Im Exil gaben die meisten ihre schriftstellerische Existenz notgedrungen auf. Die Sicherheitslage ist schlecht. Mangelnde mediale Berichterstattung über die im Exil lebenden Schriftsteller und ihre Werke führte durch Konzentration auf emotionale Flüchtlingsgeschichten zu einem fehlenden Bewusstsein für den fachlichen Diskurs über afghanische Literatur im Westen.
«Ich wünsche mir, dass die Leute in der Schweiz keine Angst haben vor den Afghanen. Ich wünsche mir für mein Land Frieden, Freiheit, Sicherheit. Im Moment sind die Menschen nicht mal in der Schule oder der Moschee sicher vor Angriffen. Mit den Gedichten möchte ich die Not und Dringlichkeit verständlich machen, aber auch Vorurteilen begegnen und Verständnis fördern», sagt Hejerat Anwari.
Von narrativen Sprachbildern und fein gezeichneter Metaphorik geprägt, geben Anwaris Gedichte Einblick in die Jahrhunderte alte afghanische Erzähltradition und öffnen eine Türe in die bildreiche literarische Welt aus dem im Westen vergessenen Land Afghanistan, die es als Chance zum kulturellen Austausch zu begreifen gilt.
«101 Gedichte für die Menschlichkeit» wurden mit einem Lektoratsbeitrag von 10 000 Franken dotiert und sollen bald als Buch erscheinen. Jurybericht des Aargauer Kuratoriums und weitere Infos unter www.hejerat.ch.