«Wir dürfen mitfühlen, aber nicht mitleiden»
Lebensende Nicole Hendriksen verlor im vergangenen Jahr ihren Mann an Krebs. Während der letzten Monate des Leidenswegs bekam sie Unterstützung der spezialisierten Palliative Care (SPC) der Spitex Region Lenzburg.
Der Wunsch vieler Menschen, zu Hause zu sterben, ist ein tiefes, oft unausgesprochenes Bedürfnis, das den Wunsch nach Nähe zu den Liebsten und einer vertrauten Umgebung widerspiegelt. Doch dieser Wunsch stellt nicht nur die betroffenen Menschen, sondern auch ihre Angehörigen vor enorme Herausforderungen. Pflege und Unterstützung in den letzten Lebensphasen erfordern immense physische und emotionale Ressourcen. Ohne professionelle Hilfe können die Angehörigen schnell an ihre Grenzen stossen. Hier setzt die Palliative Spitex an – mit einem Team von Fachleuten, das nicht nur für die medizinische Versorgung sorgt, sondern auch eine emotionale Stütze bietet. Christine Hämmerli beschreibt die Arbeit in der Palliativen Spitex als eine ständige Gratwanderung zwischen Mitgefühl und professioneller Distanz: «Wir dürfen mitfühlen, aber nicht mitleiden.» Diese Haltung ist entscheidend, um die notwendige Nähe zu den Patienten und ihren Angehörigen zu wahren, ohne selbst emotional zu sehr involviert zu werden. Es erfordert eine hohe Sensibilität und die Fähigkeit, in einem sehr intimen und emotionalen Umfeld zu arbeiten, in dem Trauer und Freude oft Hand in Hand gehen.
Eine Betroffene erzählt ihre Geschichte
Ein berührendes Beispiel für diese Unterstützung ist die Geschichte von Nicole Hendriksen, deren Mann letzten Sommer in ihrem Zuhause an Krebs verstarb. Sie erinnert sich an jede einzelne Etappe dieses schweren Abschiedsprozesses und an die entscheidende Rolle, die Christine Hämmerli dabei spielte. Für sie war Hämmerli während dieser Zeit ein «Engel» – eine Person, die nicht nur die körperliche und die medizinische Pflege ihres Mannes übernahm, sondern auch ihr dabei half, die schmerzliche Realität des Verlustes zu akzeptieren und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Nicole Hendriksen betont, wie wichtig es war, in dieser Zeit Unterstützung anzunehmen. Diese Erfahrung hat ihr geholfen, zu verstehen, dass Hilfe in solch einer Situation nicht nur notwendig, sondern auch ein Teil des Heilungsprozesses ist. Durch die professionelle und gleichzeitig einfühlsame Betreuung von Christine Hämmerli und ihrem Team konnte sie nicht nur ihren Mann die letzten Tage in Würde begleiten, sondern auch persönlich wachsen und lernen, mit der Trauer umzugehen.
Die Arbeit der Palliativen Spitex zeigt, wie wichtig es ist, sich Unterstützung zu holen, wenn der eigene Lebensraum zum Ort des Abschieds wird. Sie stellt sicher, dass der Wunsch, zu Hause zu sterben, nicht nur ein idealer Abschiedswunsch bleibt, sondern auch in der Realität gut begleitet wird – sowohl für den Patienten als auch für die Angehörigen.
Keine Konkurrenz zu Krankenhäusern
Christine Hämmerli kommt aus der Welt der Spitäler und Krankenhäuser. Zeitdruck und Sparrunden beim Personal verhinderten dort oft, dass sie sich genügend Zeit für die Zuwendung für ihre Patienten nehmen konnte. Sie wollte wieder ihrer Berufung folgen – nicht einem Beruf. Bei der Palliativen Spitex Region Lenzburg könne sie das. Doch die Arbeit ist nicht ohne Herausforderungen und in einem Krankenhaus gibt es viele Vorteile, die es zuhause nicht gibt. «Im Spital hat man eine perfekte Infrastruktur. Das ist bei den Menschen zuhause nicht der Fall.» Enge Räume, Treppen, Angehörige, die an ihre Grenzen stossen. Doch die Klienten, wie die Patienten dieser Spitex genannt werden, stehen zuhause im Mittelpunkt. Der Dienst kennt keine Bettenkapazität wie ein Spital. Sie hilft dort, wo sie gebraucht wird – ambulant statt stationär. «Wir haben für unsere Klienten genug Zeit», meint Hämmerli. Es gibt aber auch Fälle, in denen Patienten trotzdem in die stationäre Pflege überwiesen werden müssen. «Niemand aus dem vierköpfigen Team weiss zu Beginn, ob die Klienten bis zum Schluss von der SPC begleitet werden», sagt sie weiter. Die Gründe dafür sind vielfältig. Etwa, wenn jemand allein wohne oder die Angehörigen die Kraft nicht mehr hätten. Es gebe auch Krankheitsbilder- und Verläufe, die die Pflege zuhause nicht zulassen würden. Marco Gyr ist der Bereichsleiter der Spezialdienste der Spitex. Er möchte die Spitex nicht als Konkurrentin zu Krankenhäusern und Spitälern sehen, sondern als ergänzende Alternative: «Die Spitex ist eine wichtige Ressource in der Versorgungskette, die sicherstellt, dass unsere Klienten nach der Entlassung optimal betreut werden. Sie bildet das Bindeglied zwischen stationärer Behandlung und sorgt für eine nahtlose, hochwertige Versorgung in den eigenen vier Wänden.»
Ein klarer Fokus
«Der Patient muss immer im Mittelpunkt stehen» – diese Aussage von Marco Gyr, Bereichsleiter der Spezialdienste bei der Palliativen Spitex Region Lenzburg, fasst treffend die Philosophie der Organisation zusammen. In der ambulanten Palliativpflege geht es nicht nur darum, medizinische und pflegerische Dienstleistungen zu erbringen, sondern auch darum, den Klienten als Individuum zu sehen und ihm die bestmögliche Unterstützung in seiner letzten Lebensphase zu bieten. Trotz der hohen Nachfrage und dem konstanten Arbeitspensum, das das Team der Palliativen Spitex nicht übersehen kann, ist es für Marco Gyr und sein Team wichtig, dass die Menschen wissen, dass dieses Angebot existiert. Die Anmeldung für die Dienste der Palliativen Spitex ist unkompliziert und erfolgt nicht nur durch die Patienten selbst, sondern auch durch verschiedene andere Akteure im Gesundheitssektor: Pflegepersonal, Angehörige, Ärzte oder auch andere Organisationen im Bereich der Gesundheitsversorgung (Public Health). Diese breiten Zugangswege sind entscheidend, um sicherzustellen, dass die Hilfe schnell und unbürokratisch dort ankommt, wo sie benötigt wird. Besonders wichtig ist, dass Angehörige und Patienten selbst keine Hemmungen haben, sich frühzeitig Unterstützung zu holen – denn eine frühzeitige Einbindung der Palliativen Spitex kann den Übergang in diese schwierige Phase des Lebens erleichtern und dazu beitragen, dass die letzten Lebensmonate so würdevoll wie möglich gestaltet werden können. Mit der Anpassung der Pflegeverordnung ab dem 1. Januar 2025 wird der Kanton für eine Ausweitung auf eine 24-Stunden-Abdeckung sorgen und Fachärzte stärker involvieren. Zudem sind weitere kantonale Projekte und deren Finanzierung, wie die Integration von Seelsorge und die Ausweitung auf Alters- und Pflegeheime, geplant.
Insgesamt ist das Angebot der Palliativen Spitex nicht nur eine Hilfe in der akuten Phase, sondern auch eine Möglichkeit, den Prozess des Abschieds auf eine Weise zu gestalten, die den Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wird – von den Patienten über die Angehörigen bis hin zum Pflegepersonal.