«Tischlein deck dich»: Neue Abgabestelle eröffnet
Lenzburg Kisten voller Bananen, Brote und Überraschungen: Jeden Mittwoch verwandelt sich das Kirchgemeindehaus in Lenzburg in eine Drehscheibe für gerettete Lebensmittel. Seit kurzem betreibt «Tischlein deck dich» hier eine neue Abgabestelle für Menschen mit begrenzten finanziellen Mitteln.
Im reformierten Kirchgemeindehaus in Bahnhofsnähe riecht es nach reifen Mangos, frischem Brot und einer Prise Vorfreude. Auf langen Tischen reihen sich Bananen, Salatköpfe, Konserven und Säfte. Zwei Helferinnen legen die letzten Karotten ordentlich in eine Kiste, jemand verstaut Tiefkühlprodukte in einer Kühlbox. Es ist Abgabetag bei «Tischlein deck dich» – und bald werden die ersten Kunden eintreffen. Alles ist vorbereitet für eine stille, aber bedeutsame Routine, die Woche für Woche stattfindet.
Seit dem 2. April gibt es die Abgabestelle der Lebensmittelhilfsorganisation auch in Lenzburg – getragen von rund 40 Freiwilligen und geleitet von Myrtha Dössegger und ihrer Stellvertretung Susanne Buri. «Mich und auch die Helfer berühren jeweils die freundlichen Kunden und auch ihre Disziplin, sehr ruhig zu warten, bis sie an der Reihe sind», sagt Dössegger. Die Stimmung ist ruhig, fast feierlich. Wer hierherkommt, hat eine sogenannte Tischlein-deck-dich-Karte – und damit Zugang zu geretteten Lebensmitteln, die das Haushaltsbudget entlasten können.
Zwischen Mangel und Überfluss
Dössegger kennt das Projekt gut. Seit über einem Jahr hilft sie in der Rüsterei des Logistiklagers in Staufen mit – dort, wo alles beginnt: mit dem Sortieren und Zusammenstellen der geretteten Ware. «Es gehen nach wie vor so viele wertvolle, noch geniessbare Lebensmittel verloren – vom Feld bis zum Teller», erklärt sie. «Tischlein deck dich» will genau hier ansetzen – Lebensmittel retten und Menschen helfen, die von Armut betroffen sind.
Dass es in Lenzburg bisher keine eigene Abgabestelle gab, war für Döss-egger und ihr Team ein Anstoss zum Handeln. Gemeinsam mit einem Kollegen, der Regionalstellenleiterin und Stadträtin Beatrice Taubert (Ressort Soziales) machten sie sich auf die Suche nach geeigneten Räumen – und fanden diese schliesslich im reformierten Kirchgemeindehaus. «Wir dürfen einen grosszügigen Raum im Kirchgemeindehaus benutzen. Dafür sind wir sehr dankbar.»
Ein Mittwoch mit System
Der Ablauf ist mittlerweile gut eingespielt. Der Chauffeur bringt die Lebensmittel, das Team richtet den Saal her. «Kühlwaren werden sofort weiter gekühlt, und alle weiteren Produkte schön hergerichtet», erklärt Dössegger. Bevor die Tür aufgeht, wird gemeinsam festgelegt, wie die Ware verteilt wird – damit es für alle reicht. «Wir benutzen einen Verteilschlüssel, den wir zusammen bestimmen und miteinander besprechen.»
Und wenn am Ende noch etwas übrig ist? Dann gibt es eine zweite Runde für jene, die bis zuletzt bleiben. Besonders beliebt seien Frischprodukte, Tiefgekühltes, Getränke – und ja, auch Chips. Nicht immer kennen die Kunden alle angebotenen Gemüse. «Wir geben ihnen dann gern Tipps zur Zubereitung.»
Dass die Menge und Auswahl der Lebensmittel wöchentlich variiert, sei eine Herausforderung. «Aber wir haben bisher immer eine gute Lösung gefunden», sagt Dössegger. Die Abgabestelle sei keine Vollversorgung, sondern eine spürbare Entlastung.
Die erste Begegnung
Viele der Kunden kommen anfangs zögerlich. «Vielleicht etwas scheu, aber nach zwei bis drei Mal gibt es eine ganz normale Begegnung wie bei einem Einkauf, einfach in Begleitung von uns Helfern.» Wichtig sei, so Dössegger, dass sich niemand für den Besuch schämen müsse. «Die Scham ist sicher ein Thema – aber mit einer ruhigen und freundlichen Begleitung verfliegt sie meist schnell.»
Vergeben werden die Zugangskarten über regionale Sozialfachstellen wie die Caritas. Diese wurden im Vorfeld von «Tischlein deck dich» über die neue Lenzburger Abgabestelle informiert. Nun sei es wichtig, dass die Stellen ihre Klienten aktiv motivieren, das Angebot zu nutzen. Noch gebe es freie Kapazitäten.
Was den Umgang mit der Kundschaft betrifft, nennt Dössegger drei Grundsätze: Freundlichkeit, Verständnis und Diskretion. «Dankbarkeit» sei das häufigste Feedback – und genau das motiviere das Team, Woche für Woche weiterzumachen.
Neben der konkreten Hilfe geht es um mehr. Die Abgabestelle soll ein Ort sein, an dem Menschen sich begegnen können – ein kleiner Ankerpunkt im Alltag. «Wir hoffen natürlich, dass wir auch zu einem sozialen Treffpunkt für die Menschen werden können, an dem sie sich wohl fühlen und sich auch untereinander austauschen können», so Dössegger. Das sei ein zusätzlicher Mehrwert, neben dem Retten von Lebensmitteln.
Und auch für das Helfer-Team ist das Engagement erfüllend. Die Stimmung sei konzentriert, ruhig – aber auch herzlich. «Dass wir ein so gutes Team sind, ist keine Selbstverständlichkeit», betont die Leiterin. Die Tür für neue Freiwillige bleibt deshalb offen. Denn je mehr Menschen die Abgabestelle nutzen, desto mehr Hände braucht es im Hintergrund.
Blick nach vorn
Für die Zukunft wünscht sich Dössegger vor allem Kontinuität: «Dass die Kunden, die eine Karte bekommen haben, auch regelmässig kommen. Und dass wir weiterhin ein so gutes Team bleiben.»
Wer an einem Mittwochmorgen beim Kirchgemeindehaus in Lenzburg vorbeigeht, sieht vielleicht nur Menschen, die mit Taschen und Tüten das Gebäude verlassen. Doch drinnen passiert weit mehr: Es wird verteilt, was andernorts im Abfall landen würde – und empfangen, was im Alltag oft fehlt: Respekt, Austausch und ein Moment echter Begegnung.