Gebrauchtes mit viel Charme
Haben Brockenhäuser wegen Billiganbietern ausgedient? Oder sind Gebrauchtwaren, an denen der Charme des Alten liebevoll haftet, nach wie vor gefragt? Der Lenzburger Bezirks-Anzeiger hat sich bei den Brockenstuben in Niederlenz, Beinwil am See und Rupperswil schlaugemacht.
Kleider aus den 20er- oder 50er-Jahren, Spitzen, alte Knöpfe oder spezielle Deko, all dies findet man bei mir. Meine Kundschaft weiss natürlich um das Spezielle, das ich anbiete», sagt Simone Banderet, die seit 11 Jahren die private Brocki in Niederlenz führt. Aber auch klassische Nippsachen, Geschirr und Kleider allgemein seien sehr gefragt. Woher kommen denn all die Sachen? «Vieles stammt von Hausräumungen», sagt sie. Aber sie habe auch einen grossen Freundeskreis, der immer wieder mal etwas Schönes vorbeibringe. «Und ich gehe an Floh- und Antiquitätenmärkte, wo ich auch immer wieder mal etwas kaufe.»
So erstaunt denn nicht, dass Banderet Kunden querbeet mit ihrem Angebot anspricht. «Mein Herz schlägt für diese Brocki – ich habe sie mit viel Herzblut aufgebaut», sagt sie. Kann man davon gut leben? «Ich verdiene noch einen Drittel von dem, was ich vor meiner Selbstständigkeit jeden Monat überwiesen bekam», sagt sie. Aber sie sei glücklich, zufrieden, freue sich über jeden Kundenkontakt, und dies sei mit keinem Geld der Welt wettzumachen. Nach 15 Jahren beim gleichen Arbeitgeber wurde sie mit 50 Jahren wegrationalisiert. Zwei Jahre war sie dann arbeitslos, bevor sie sich entschied, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. «Das war ein guter Entscheid, ich hätte den Stress in jener Firma mit meiner Gesundheit bezahlt», ist die 61- Jährige überzeugt.
Gebrauchtwaren mit Charme
Selbstständig zu sein bedeutet nicht nur eitel Freude. Haben denn Brockenhäuser eine Zukunft? «Auf jeden Fall. Es gibt viele Menschen, die darauf angewiesen sind, an günstige, gute Waren zu kommen. Und je länger, je mehr gibt es Menschen, die den Wert des Alten, das häufig in liebevoller Handarbeit entstanden ist, zu schätzen wissen», sagt Banderet. Sie ist denn auch gar nicht ein Freund von Massenware. «Schauen Sie doch diese traurigen, unschönen Puppengesichter von heute an. Früher wurden die Gesichter mit viel Liebe zum Detail kreiert. Das kann es auch heute noch geben, die Liebe zum Detail – doch nicht bei Produkten, die ab dem Fliessband kommen», betont sie. So erstaunt denn nicht, dass man in der Brocki Niederlenz nicht den gleichen Gegenstand in diversen Farben findet. Unikate sind an der Tagesordnung. «Und das wird auch so bleiben», betont sie.
Chrosihus erfolgreich unterwegs
«Ich bin seit 30 Jahren ehrenamtlich in der Brockenstube Chrosihus in Beinwil am See tätig», sagt Bernadette Hintermann und fügt an: «Es läuft nach wie vor äusserst gut bei uns, vor allem Geschirr, Kleider und Kleinmöbel sind sehr gefragt. Brockenstuben braucht es nach wie vor, sie sind kein Auslaufmodell.» Zusammen mit neun Kolleginnen vom Frauenverein Beinwil am See wird das Chrosihus seit gut 35 Jahren geführt. Allesamt seien sie mit viel Herzblut und allesamt ehrenamtlich dabei, betont Hintermann. «Unsere Brocki ist sehr gepflegt, wir führen ein attraktives Angebot mit guten Preisen, was für unseren Erfolg spricht», sagt sie. Die Kundschaft stammt nicht nur aus dem Aargau, sondern auch aus den umliegenden Kantonen. Den Reingewinn lassen sie jeweils einem guten Zweck zufliessen. Berücksichtigt werden etwa regional oder überregional tätige Institutionen sowie kulturelle Projekte und anderes mehr (https://chrosihus.jimdo.com).
Piccolo-Brocki Rupperswil auf zwei Etagen
«Ich muss zwar kämpfen, um überleben zu können», sagt Kari Mülhaupt von der Piccolo Brocki in Rupperswil. Aber ans Aufgeben denkt er nicht, im Gegenteil. «Ich betrachte die Konkurrenz, die es inzwischen wegen der Billiganbieter etwa von Möbeln, Haushaltwaren und Kleidern gibt, als Herausforderung», sagt er. Vor 16 Jahren, als er die Piccolo Brocki auf privater Basis ins Leben rief, sei das noch anders gewesen. An die Waren, die er in seinem Geschäft feilhält, kommt er durch Hausräumungen, durch Abholung bei Menschen, die sich davon trennen wollen, oder man bringt ihm die Artikel vorbei. Gefragt ist unter anderem Geschirr, Kleinigkeiten und einfach Krimskrams, wie er seinen Fundus liebevoll nennt. Zum Schmökern schaut querbeet alles vorbei, jung, alt, arm und reich. Wessen Herz für ein Möbelstück höher schlägt, kann sich das Wunschobjekt gerne nach Hause liefern lassen.
Traum erfüllt
Vor allem der Austausch mit den Menschen gefällt Kari Mülhaupt an seiner Arbeit und das motiviert ihn, auch weiterhin die Pforten der Piccolo-Brocki offen zu halten. Denn mit dieser Brockenstube hat sich der 50-Jährige einen Traum erfüllt. Als Vierjähriger wurde er von einem Auto angefahren und schwer verletzt. Von seinem Schädelbruch hat er sich nie ganz erholt, lebt seither mit Beeinträchtigungen. «Jemand ohne Handicap würde die Brocki vermutlich anders führen. Ich mache es einfach so, wie ich kann.» Kari Mülhaupt bleibt zuversichtlich, dass seine Brocki und Brockenhäuser ganz allgemein auch weiterhin eine Zukunft haben. Wenn auch keine einfache. Sagts und macht sich auf, um für die neu eingetroffene Ware in der weitläufigen, 1000 m grossen Brocki auf zwei Etagen ein passendes Plätzchen zu suchen. Weitere Informationen unter piccolobrocki.jimdo.com
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