Eine haarige Militärgeschichte rund um das Stadtoriginal Walter Bertschi-Roeschli

Lenzburg Vor 50 Jahren enervierte sich das Lenzburger Stadtoriginal Walter Bertschi-Roeschli derart über das Pressebild eines langhaarigen WK-Soldaten, dass er seinen Unmut in Bern kundtun musste. Rückblende in eine Zeit, als die Armee nach einem neuen Umgang mit modernen Modephänomenen suchte.

<em>Stein des Anstosses links unten: </em>Ein Bericht im «Badener Tagblatt» vom 23. Oktober 1968 mit einem langhaarigen WK-Soldaten löste eine Korrespondenz aus. Fotos: Roger Kaysel/BT

<em>Stein des Anstosses links unten: </em>Ein Bericht im «Badener Tagblatt» vom 23. Oktober 1968 mit einem langhaarigen WK-Soldaten löste eine Korrespondenz aus. Fotos: Roger Kaysel/BT

<em>«Uns hat das Bild des langhaarigen Mähnenmenschen nicht gefallen»:</em> Brief von Hans-Rudolf Kurz, Informationschef des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD), an Walter Bertschi-Roeschli. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv, Dossier-Signatur CH-BAR#J1.203#1000/1312#631*

<em>«Uns hat das Bild des langhaarigen Mähnenmenschen nicht gefallen»:</em> Brief von Hans-Rudolf Kurz, Informationschef des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD), an Walter Bertschi-Roeschli. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv, Dossier-Signatur CH-BAR#J1.203#1000/1312#631*

Man weiss nicht mehr, was genau in dem Brief aus Lenzburg stand. Das Schriftstück ist in den Tiefen des Schweizerischen Bundesarchivs verschollen. Hans-Rudolf Kurz, der Informationschef des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD) in Bern, erachtete seinen Inhalt jedenfalls als wichtig genug, um es persönlich zu beantworten.

Die Zuschrift, datierend vom 24. Oktober 1968, stammt von Walter Bertschi-Roeschli, dem legendären Eisenwarenhändler aus dem Haus «zum Roten Schild» in der Lenzburger Rathausgasse. Bertschi-Roeschli hatte dem EMD eine Ausgabe des «Badener Tagblatts» geschickt. Sie zeigte eine Fotostrecke zum Einrücken der Aargauer Wehrmänner der Grenzdivision 5 zum Wiederholungskurs (WK).

Darauf zu sehen sei, so Oberst Kurz, «neben anderen Militärbildern die Aufnahme eines Prachtsbeatles». Offenbar hatte Bertschi-Roeschli angefragt, wie die im Militärdepartement sich «zu dieser modernen Erscheinung stellen». «Wir können Ihnen versichern», schrieb der EMD-Pressechef und renommierte Militärhistoriker zurück nach Lenzburg, «dass uns das Bild des langhaarigen Mähnenmenschen nicht gefallen hat.»

O Zeiten, o Sitten. Dem Gefreiten a.D. Walter Bertschi-Roeschli, der im Zweiten Weltkrieg für die Sektion Heer und Haus als «Wanderprediger» der «Geistigen Landesverteidigung» vor Truppe und Zivilbevölkerung fast 1000 patriotisch-erbauliche Referate zur militärpolitischen Lage gehalten hatte, dem stolzen Lenzburger Stadtkanonier, Artilleristen des Freischarencorps und hauptberuflich Verkäufer von Knall- und Feuerwerk aller Art sowie sonstigem Allerlei, ihm hat das Zeitungsfoto wahrscheinlich auch nicht gefallen. Wild wuscheln dem jungen Infanteristen – die «Schiffli»-Mütze tief in die Augen gezogen und den Karabiner lässig geschultert – die festen Locken über die Uniform.

Gesellschaft im Kulturwandel

Für Vertreter der Aktivdienstgeneration wie Bertschi-Roeschli und Hans-Rudolf Kurz – beide haben Erinnerungen an die Kriegsjahre 1939 bis 1945 publiziert – war das ein verstörender Anblick. Ein Einblick in eine Armee, die sich ebenso wie die Gesellschaft in einem Kulturwandel befand.

Und hier lag die Krux. Die demokratische Milizarmee kann sich ihre Dienstpflichtigen nicht aussuchen. «Vor einiger Zeit», so Kurz im Brief an Bertschi-Roeschli, «wurde einem Beatmusiker, der sich darauf berief, dass seine langen Haare ein Berufsrequisit seien, ausnahmsweise gestattet, eine im Widerspruch zum Dienstreglement stehende Haartracht zu tragen.» In den Dossiers des EMD finden sich zahlreiche begründete Ausnahmegesuche junger Wehrmänner. Lange Haare waren eben in.

Allgemein stellte sich nach «1968» die Frage, wie die Armee mit den neuen Vorstellungen und Ansprüchen der jungen Generation umgehen sollte. EMD-Vorsteher Rudolf Gnägi war unter Zugzwang. Ein knappes Jahr nach dem Briefwechsel zwischen Bern und Lenzburg, im Sommer 1969, berief der Bundesrat eine extern bestallte «Kommission für Fragen der militärischen Erziehung und Ausbildung» ein. Diese sollte Empfehlungen zu einer «zeitgemässen» Ausrichtung der Armee erarbeiten.

Frisurenfrage neu geregelt

Die Kommission schlug unter anderem den Verzicht auf gewisse überkommene Formalitäten im Umgang zwischen Offizieren und Mannschaft sowie allgemein gewisse Lockerungen im Dienstbetrieb vor. Im Dezember 1970 wurde die Öffentlichkeit über die Reformmassnahmen informiert.

Zu reden gab insbesondere die Frisurenfrage. Neu hiess es im Dienstreglement: «Die Haare dürfen den Wehrmann in seiner dienstlichen Tätigkeit nicht behindern und sind so zu schneiden, dass sie den Kragen der Uniform nicht berühren. Die Haartracht muss sauber und gepflegt sein. Es werden keine Ausnahmen zu diesen Bestimmungen gestattet.»

Dem Militärdienst standen in den 1970ern haarige Zeiten bevor. Vielleicht war es auch in Reaktion auf den nicht nur oberflächlichen Wandel der Armee, dass Walter Bertschi-Roeschli sich in Lenzburg für die öffentliche Erinnerung an die grosse Lichtgestalt der Kriegsgeneration einsetzte. Es ist seiner Initiative zu verdanken, dass im März 1972 bei den Schillerlinden auf dem Goffersberg der General-Guisan-Gedenkstein eingeweiht wurde.

* Thomas Bürgisser ist Historiker und Journalist und in Lenzburg aufgewachsen.

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