blickpunkt

Lustvoll lernen Ich erinnere mich gut an meinen ersten Schultag. Es war der 17. April 1967. Ich war bereit. Bereit zu lernen. Lesen, Schreiben – das grosse Abenteuer Schule konnte beginnen. Nur: Es begann nicht. Stattdessen haben wir mit Fräulein Weiss gebastelt, Bienchen und Schmetterlinge eingeklebt. Ich wollte rechnen und schreiben – und wurde vertröstet.

Damals verstand ich es nicht, heute glaube ich: Die Schule traute mir meine Lernfreude nicht zu. Man wollte mich «spielerisch abholen», als müsste man mich erst zum Lernen verführen. Dabei hatte ich das längst verinnerlicht. Wie alle Kinder. Wir alle lernen von klein auf mit riesigem Aufwand: sitzen, gehen, sprechen. Und zwar ohne Lehrer, ohne Prüfungen – aber mit Neugier und Willen. Erst viel später, nach der Schule, machte ich meine ersten echten Lernerfahrungen. Ich brachte mir selbst ein Computerprogramm bei. Und plötzlich war es da – dieses Glücksgefühl des Lernens. Nicht vermittelt, nicht geprüft – sondern selbst erlebt.

Was wäre, wenn die Schule genau hier ansetzen würde? Beim natürlichen Drang zu lernen? Stattdessen aber wird das Lernen in der Schule oft ersetzt durch Arbeit. Und Arbeit – das lernen wir früh – ist anstrengend, selektiv und konkurrenzgetrieben. Wir lernen, dass es ums Durchsetzen geht. Gegen andere. Jeder gegen jeden.

Schon nach wenigen Schuljahren ist klar, wer dazugehört – und wer nicht. Wer «versagt», merkt es schnell. Wer funktioniert, wird gelobt. Nicht für Wissen, sondern für seine Systemwilligkeit. So wird die Schule zur Arbeitserziehungsanstalt. Und sie ist darin sehr erfolgreich. Wir Schweizerinnen und Schweizer können fleissig arbeiten – das steht ausser Frage. Aber zu welchem Preis?

Peter Bichsel formulierte es bereits 1985 so: «Es geht nicht darum, den Stoff zu lernen – sondern darum, am Stoff zu lernen.» Vielleicht müssten wir uns das wieder mal ganz gross auf die Fahne schreiben.

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