Salzkorn: Inszenierungsbedarf
Rund 150 Tage lang mussten die Enkelkinder Sem (7) und Finnja (5) dem gruselig-reizvollen Genuss entsagen, auf den Zehenspitzen behutsam-vorsichtig durch den langen Gang zur schummrig-dunklen Grotte zu trippeln und mit bangem Herzklopfen und wohligem Schauer durch die Gitterstäbe den brüllenden, knurrenden und zischenden Jungdrachen Fauchi zu bestaunen. Jetzt hat das Warten ein Ende, auch für alle andern Schlossfans. Ab 1. April herrscht auf der Lenzburg Frühlingserwachen.
Der Besuch der imposanten Feste bietet vielen sehr viel: faszinierende Rittergeschichte(n); gackernde Hühner in der verrauchten Schlossküche; goldene Wasserhähne in den eleganten Gemächern der legendären Schlossfamilien Elsworth und Wedekind; imposantes Bärenfell in der Berner Landvogtei; authentische Holzkritzeleien im gefürchig-düsteren Kerker; oder buntfröhliche Spiel- und Bastelfreuden im Kindermuseum. Sinnliche und emotionale Erlebnisse und Eindrücke pur.
Umso augenfälliger und krasser ist der Kontrast für jene, die sich nach dem Rundgang zur Erfrischung und Stärkung erwartungsfroh ins ehemalige Stapferhaus begeben. Die dort 2019 im Parterre eröffnete Lokalität gleicht mit ihrer Nüchternheit und Lieblosigkeit eher der Kantine eines volkseigenen DDR-Betriebs denn einem «Schlossbistro» mit historisch-stimmungsvollem Ambiente. Nicht nur die (Nicht-)Einrichtung der ungastlichen Stätte, auch das kulinarisch-gastronomische Angebot ist bar jeder Anknüpfung ans sonst so grandiose Schlosserlebnis.
Es gibt jedoch Hoffnung. Der neu zusammengesetzte Stadtrat hat an einer seiner ersten Sitzungen einen bemerkenswert lange vakant gehaltenen Stadtsitz im Schloss-Stiftungsrat endlich wiederbesetzt – mit Tinu Niederhauser. Als ehemaliger Theatermann und aktiver Kommunikationsspezialist besitzt er die Inszenierungskompetenz und das Fantasievermögen für die Ausgestaltung eines «Schlossbistros», das diesen Namen auch wirklich verdient. Es bleiben ja noch 214 Tage Zeit, bis die Lenzburg wieder in den Winterschlaf versinkt.