Salzkorn: Der letzte Tag
Zwei Stunden vor Landfall, am 16. Dezember, wurde Rai/Odette als Super-Taifun, Stärke 5, klassifiziert. Mein Herz sank. Wir luden Kinder, Tiere und Notfallrucksack ins Auto und fuhren Richtung Evakuationszentrum. Kaum waren wir angekommen, erreichten uns panische Textmeldungen von Zurückgebliebenen: «Alle Bäume fallen.» Wir merkten noch nichts vom Ende der Welt. Um zirka 13 Uhr hatte sich der Himmel verdunkelt, übers Stadiumfeld fegten Winde mit bis zu 195 Kilometer pro Stunde. Ganze Dächer, Holz, Fenster- und Stahlteile wirbelten durch die Luft und wir mussten zuschauen, wie bei der Sporthalle gegenüber zuerst das Dach wegflog und dann die Metallkonstruktion kollabierte.
Die Schreie hunderter Menschen gingen durch Mark und Bein und vermischten sich mit dem erschreckend lauten Brüllen des Windes. «Wo ist das Monster?» Mein Jüngster lugte unter der Wolldecke hervor. Wir standen knöcheltief im Wasser, patschnass. Der Regen peitschte durch die kaputten Fenster von allen Seiten auf uns ein.
Nach unendlich langen drei Stunden war Odette vorübergezogen. Ein Feld der Zerstörung blieb zurück. Kein Baum, kein Strauch hatte noch ein Blatt, die Palmbäume, die noch standen, waren zusammengeklappt wie Regenschirme und überall lagen Teile von Häusern. In den Gesichtern aller las ich die gleiche Frage: Habe ich noch ein Daheim?
Die Tage nach Odette verbrachten mein Mann und ich mit der Suche nach Trinkwasser, Reis und Benzin. Die Zerstörung überall war überwältigend, fast alle Häuser hatten die Dächer verloren, viele hatten gar kein Haus mehr. Für Siargao standen traurige Weihnachten bevor.
Seit Odette ist nun ein Monat vergangen. Langsam weicht das Chaos, man sieht wieder Dächer im Dorf. Die verbliebenen Bäume haben neue Blätter. Und immer wieder hört man die aufmunternden Worte: «Haltet zusammen! Siargao, steh auf!»