Gelebtes Brauchtum in Hallwil
Hallwil Immer nach dem Advent findet in Hallwil das Silväschter-Trösche statt.
Hallwil ist zwar ein eher kleiner Ort, doch das reichhaltige Brauchtum stärkt den Zusammenhalt sowie das Miteinander unter den Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern. Das Interesse am Chlausklöpfe, am Wiehnachtschindli oder am Bärzeli-Brauch geht oft über die Dorfgemeinschaft hinaus. Doch den Hallwilerinnen und Hallwilern geht es dabei viel mehr um gelebte Traditionen als um einen Event. In diesem Jahr soll hier das Silväschter-Trösche näher vorgestellt werden. «Bei dieser alten Tradition kommt es auf Geschicklichkeit an», erklärt Rudolf Urech. Er weiss, wovon er spricht, schliesslich zählt er seit mehr als 25 Jahren zu den Dreschern.
Kurz vor Mitternacht, am letzten Abend des alten Jahres, die Funken eines beeindruckenden Feuers steigen in die Luft. Dazu dreschen mehrere Männer mit den Flegeln auf ein schmales Holzbrett ein – immer gleichmässig im Takt, zu zweit, zu dritt, zu viert, zu sechst oder zu acht. Um sie herum die Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner, die sich auf dem Hallwiler Bruderhübel zusammengefunden haben, um das alte Jahr zu verabschieden und das neue zu begrüssen. Mehlsuppe und Punsch erwärmen die Anwesenden. Dazu lodert das mächtige Feuer in einer hohen, pyramidenförmigen Holzkonstruktion und erhellt den Platz mit den Dreschern, die unermüdlich ihre Flegel auf das Brett prallen lassen. Das Geräusch hallt vom umliegenden Wald ein wenig schauerlich zurück. Sowohl Silväschter-Trösche als auch das Silväschter-Füür sind Mittwinterbräuche und muten beinahe etwas aus der Zeit gefallen an.
Bräuche aus der Vergangenheit
Über die Herkunft dieser und weiterer Überlieferungen gibt es eher Vermutungen als klare Aussagen. In einer Broschüre, die von der Brauchtumskommission des Dorfes herausgegeben wird, heisst es dazu: «Der Ursprung unseres Brauchtums reicht in archaische Zeiten zurück und liegt im Dunkeln. Entstanden ist es wohl, als die Alemannen vor rund 1500 Jahren das Mittelland besiedelten.» Damals hätten sich wahrscheinlich die germanischen Traditionen mit den Sitten und Bräuchen der ortsansässigen Kelten durchmischt. «Heidnisches traf später mit Christlichem aufeinander, als die Alemannen christianisiert wurden», erklären es die Verfasser weiter. «Doch Aberglaube und heidnisches Brauchtum überlebten.»
Zum Silväschter-Trösche haben die Herausgebenden angemerkt: «Mit dem Dreschen auf Holz, in Analogie zum Dreschen des Getreides, soll eine fruchtbare Ernte herbeigeführt werden. Sinnig ist der Ort des Geschehens: Auf dem Bruderhübel wird eine alte heidnische Kultstätte vermutet.»
Zu den zehn Männern aus Hallwil, welche das alte Jahr mit Dreschflegeln verabschieden, gehört Rudolf Urech. «Seit 25 Jahren bin ich am Silväschter-Trösche dabei. Einige von uns dreschen seit 30, manche sogar seit 40 Jahren mit. Der älteste Teilnehmer ist über 70», kann er zu den bewahrten Ritualen erzählen. Einfach so mitdreschen sei allerdings nicht möglich. Die Männer werden ausgewählt und angefragt. Urech führt aus: «Es dauert schon zwei bis drei Jahre, bis man als Drescher die Technik verinnerlicht hat. Dabei kommt es weniger auf Kraft als vielmehr auf Geschick, Technik und Taktgefühl an.» Ab Mitte Dezember treffen sich die Männer zu einigen Übungsabenden. Obwohl Teilnehmer des überlieferten Rituals leider immer wieder aufhörten, zählten inzwischen zehn Männer zu den Silväschter-Tröschern. Da Hallwil nur rund 1000 Einwohnende habe, sei das sehr gut. «Einige der Tröscher wohnen nicht mehr im Ort», erläutert er, «doch ihre Verbundenheit zu Hallwil besteht offenkundig weiter.»
Thomas Bucher, Mitglied der Hallwiler Brauchtumskommission, betont ebenfalls diese Zugehörigkeit. Den Hallwilerinnen und Hallwilern sei es sehr wichtig, dass ihre Bräuche kein blosser Event seien: «Es sind gelebte Traditionen: vom Dorf, für das Dorf.» Zudem wirke das Engagement für die besonderen Rituale dem entgegen, dass Hallwil zu einem Schlafdorf wird. «Sämtliche Generationen sind auf verschiedene Weise eingebunden, das schafft ein Gemeinschaftsgefühl», stellt Bucher fest. Da bereits die jüngeren Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner bei den Mittwinterbräuchen mitwirken, bleibe die Freude daran meist ein Leben lang bestehen.
Am Bruderhübel halten die Tröscher wenige Augenblicke vor Mitternacht inne, die Kirchturmuhren schlagen zur Mitternacht, das neue Jahr beginnt. Rundherum wünschen sich alle «Es guets Nöis». Nach einigen Minuten dreschen die Männer mit den Flegeln erneut auf das schmale Brett ein – ebenso wie das alte Jahr verabschiedet wurde, wird das neue mit der eindrucksvollen Geräuschkulisse empfangen. In der Hoffnung, es möge ein gutes, erntereiches und erfolgreiches Jahr werden. Am nächsten Morgen zeugt nur noch die Asche des Silvesterfeuers von dieser ganz besonderen Tradition.