Das Unvorstellbare
In ferner Vorzeit, also vor gut zehn, zwanzig Jahren, gehörte der Gang an einen Bancomaten zur wöchentlichen Routine. Durch Drücken des Zahlencodes – nein, nicht das Geburtsdatum, aber als Eselsleiter sonst ein wichtiger Lebensmarkstein – wurde der Saldo des abstrakten Bankkontos um ein paar hundert Franken reduziert und das Portemonnaie physisch um einige Scheine ergänzt.
Bei «wurde» ist das Imperfekt bewusst gewählt. Denn inzwischen ist der Gang an den Bancomaten fast so rar geworden wie Schneefall im Monat Mai. Alle Geldtransaktionen erfolgen heute bargeldlos. Das Handy ist nicht nur Auskunftsbüro, Billettschalter, Spielkonsole, Kommunikationszentrale und vieles mehr, sondern auch ein voll ausgebauter Bankschalter. Mit E-Banking werden via Smartphone die mittlerweile meistens digital eintrudelnden Rechnungen beglichen. Mit dem eBill-System geht’s noch einfacher; da rauscht die Rechnung direkt zur Bank und muss nur noch bestätigt werden.
Kreditkarten machen das Bezahlen im Alltag noch bequemer. Überall kann damit gezahlt werden. Das vor Jahrzehnten als angeberische Geste verpönte Zücken des Plastikkärtchens ist heute allgegenwärtig. Aber auch nicht mehr der neueste Stand: Meine «Visa»-Karte ist heute in meiner Swatch «versteckt»; schon bald wird man mit einem programmierten Fingerring Rechnungen begleichen. Selbst am Jasstisch werden Schulden heute bargeldlos verrechnet – via Twint.
Nur, was passiert, wenn das Handynetz ausfällt? Wenn ausgerechnet «meine» Bank Opfer eines in diesem Ausmass noch nie dagewesenen Cyberangriffs wird? Weltweit das ganze Finanzsystem kollabiert? Unvorstellbar? Das haben wir vor vier Jahren im Bereich Gesundheit auch gedacht – und dann kam Covid.
Vielleicht hat mein noch konservativerer Bruder doch recht: «Nur Bares ist Wahres.»
Fritz Thut,
ehemaliger Redaktionsleiter