Das neue Leben 2.0
Letzte Woche schrieb mein Vorgänger Fritz Thut seinen ersten Kommentar als «freier Mann». Er war zwar nie in Gefangenschaft, ist heute aber pensioniert, weswegen diese Formulierung gar nicht mal so falsch ist. Für ihn begann mit der Pensionierung sein «neues Leben», wie er schrieb. Wie sich Ruhestand anfühlt, weiss ich nicht, allerdings aber, was ein Neuanfang ist. Meiner begann mit seiner Abschlussfeier. Auch auf mich und diese Zeitung wartet ein neues Leben. Als Redaktionsleiter ist es mir eine Ehre und eine Freude, für Sie zu schreiben. Fritz hinterlässt grosse Fussstapfen. In diese möchte ich aber nicht treten. Es ist wohl bei jedem Generationenwechsel die Aufgabe der «Neuen», ihre eigenen Spuren zu hinterlassen.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gerne an einen ehemaligen Vorgesetzten von mir. In seinem Büro stapelten sich die Bücher. Alle handelten von bekannten Anführern. Napoleon, Sun Tsu, Condoleeza Rice: verblasste Helden auf vergilbten Seiten. Sie alle wollte er verinnerlichen und kopieren. Das spiegelte sich jedes Mal in seinen Unsicherheiten. Er wollte alle sein und war deswegen leider selten er selbst.
Trotzdem ist es nicht meine Aufgabe, alles über den Haufen zu werfen. Von meinem Vorgänger möchte ich die Gelassenheit mitnehmen. Ich möchte seine Zugänglichkeit ausstrahlen. Und wie ihm auch liegt es mir fern, kurzfristige Schlagzeilen aus Halbwissen generieren zu wollen. «Vertrauliche Informationen wollte ich als Hintergrundwissen verwerten, um Zusammenhänge zu verstehen», sprach er unter den Arkaden an der Feier seiner Pensionierung. Ich werde diese Worte nicht vergessen und freue mich auf meine Zukunft bei dieser Zeitung – auch wenn die Fussstapfen gross sind. Die Arbeit hier macht mir grossen Spass. Manchmal treffe ich sogar ehemalige Mitarbeiter wieder. So wie Fritz Thut letzte Woche. Er als «freier Mann» und ich im Schweisse meiner Arbeit.
Rinaldo Feusi
Redaktionsleiter
Rinaldo Feusi