Gefrässige Krokodile an einem visionären Ort
Seetaler Poesiesommer Der Auftakt zum Seetaler Poesiesommer erfolgte mit dem Lyriker und Tänzer Yehuda Hyman aus New York.
Beinwil am See – der Bahnhof: « Das Gebäude hat für mich etwas Malerisches an sich. Umso mehr stört mich das genormte Innere des Kiosks. Und um das leere Ladenlokal daneben tut es mir leid. Ich habe noch nie gefragt, wie viel die Miete kosten würde. Dabei könnte ich mir darin so viel vorstellen. Ich würde jeden Tag eine gewisse Anzahl Stunden dort schreiben. Kurse und Öffnungszeiten stünden im Internet. Wer kommt, kann sich Zeit kaufen. Das wäre doch eine Geschichte …».
Wie beim Schreiben Visionen entstehen, führte die Journalistin Graziella Jämsä an einer Poesiesommer-Veranstaltung im Antiquariat Johannes Eichenberger vor. Wer hat beim Warten auf den Zug sich nicht schon Gedanken über die Zukunft des Bahnhofs gemacht – oder sich an die Krokodile erinnert, die auf der Strecke der Seetalbahn in manch einen Unfall involviert waren. «Böju» wurde aus der Sicht der Schreibenden zu einem Ort, an dem sich Erinnerungen und Visionen lustvoll vermischten.
Apropos Krokodil: Ein Krokodil mit weit aufgerissenem Rachen hinterliess der Künstler Jakob Brem in einem skulpturalen Gesamtkunstwerk auf dem Lindenberg, der letzte Woche Ziel eines Poesiesommer-Spaziergangs in Schongau war. «Hofdere» (Hochdorf) im Luzerner Seetal hingegen war das literarische Pflaster des vor 100 Jahren verstorbenen Autors Peter Halter, dem auf Schloss Heidegg gedacht wurde.
Über das Dorfbild von Gränichen edierte der Poesiesommer eine kleine Publikation, die zum Schreiben über «Cranechon», so hiess das Dorf im Wynental ursprünglich, anregt. In den Klöstern Baldegg und St. Urban entführten die Lyriker Eva-Maria Berg und Yehuda Hyman das Publikum nach Edinburgh, Paris, Jerusalem und Los Angeles und machten anschaulich, dass Literatur eine internationale Sprache ist, die konkrete Orte zu verzaubern mag.