Ein Gespräch über Loslassen, ÂNeuanfänge und Kleiderbügel
Fahrwangen Nach 30 Jahren übergibt Petra Eckstein ihre Physiotherapiepraxis an ihre Mitarbeiterin Ina Franzen. Die aus dem Wallis stammende, nun in Fahrwangen wohnhafte Mundartsängerin Sina ist seit 15 Jahren hier Patientin und hat mit den beiden Therapeutinnen gesprochen.
Petra, du übergibst Ende Jahr die Physiopraxis, die du seit 30 Jahren führst, an Ina Franzen. Wann hast du gemerkt, dass es Zeit ist für einen Neuanfang?
Petra Eckstein: Es gibt einen Satz von Jacques Schildknecht, dem ehemaligen Dorfarzt von Fahrwangen: Wenn der Herbst kommt, ist es wichtig, dass die Bäume ihre Blätter fallen lassen, damit das Gewicht vom Schnee im Winter nicht zu schwer wird. Das ist mir geblieben. Mit dem 30-Jahr-Jubiläum hat mein Aufhören nichts zu tun. Ich wollte die Praxis immer in der Kraft übergeben, wenn sie gut aufgestellt ist, das Team stimmt und auch ich noch in der Kraft bin. Dieser Zeitpunkt ist jetzt da.
Wie weit verbindet euch eure gemeinsame Herkunft?
Ina Franzen: Die Wurzeln spielen sicher eine Rolle. Wir haben von unseren Eltern ähnliche Werte auf den Weg bekommen. Zu DDR-Zeiten war es ein Nehmen und Geben, man hat aus nichts etwas aufgebaut, war voneinander abhängig. Unsere Eltern sind in der Landwirtschaft tätig gewesen, dort lernt man: Was man sorgfältig pflegt, kann man später ernten.
Eckstein: Wir haben Einschränkungen erfahren und gelernt, dass man sich anstrengen muss, um Ziele zu erreichen.
Ich empfinde euch als absolute Powerfrauen, zupackend und kraftvoll, das perfekte Team.
Eckstein: Es ist die Freude an unserer Arbeit, die Kraft gibt. Und dann verbindet uns beide auch grosser Respekt und Wertschätzung, wir können über einen Spleen mal hinwegsehen. Uns ist wichtig, wie wir mit dem Menschen umgehen, der zu uns kommt und Hilfe sucht. Und wir legen beide viel Wert auf gute Teamarbeit. Ich habe mich hier im Seetal von Anfang an sehr willkommen gefühlt. Das hat mich berührt und motiviert, meiner Berufung nachzugehen. Darum auch ein grosses Danke an die, die sich uns anvertraut haben.
Jetzt beginnt für die Chefin ein neues Leben. Ich stelle es mir schwierig vor, aus diesem eng getakteten Alltag auszusteigen. Wie wird das für dich?
Eckstein: Mein Leben wird ganz anders sein. Bis jetzt war alles verplant. Es wird ein Abenteuer, mich ohne Plan zu erleben, und Abenteuer hab ich gern. Mich trägt vor allem die Freude, meine Praxis an Ina zu übergeben, mit der ich seit 20 Jahren zusammenarbeite und Vision und Philosophie teile. Sie wird nun in die grösseren Fussstapfen steigen.
Ina, was wird dir von Petra am meisten fehlen?
Franzen (lacht laut): Das Zurechtrücken der Kleiderbügel, wenn sie durcheinandergeraten, oder wenn sie Mülleimer in der Praxis leert, um ihre Gedanken zu ordnen.
Eckstein: Und sonst? (lacht)
Franzen: Ganz viel natürlich. Als ich mit Anfang 20 in die Schweiz kam, waren Petra und ihre Familie meine Ersatzfamilie. Durch sie habe ich gelernt, besser zu kommunizieren. Und natürlich habe ich viel gelernt von ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer Art zu arbeiten. Heute müssen wir uns nur kurz anschauen, um zu wissen, was die andere denkt.
Du bist als Stellvertreterin von Petra seit langem mit der Praxis vertraut. Jetzt übernimmst du. Was wird sich ändern?
Franzen: Ich gestalte die Praxis seit bald 20 Jahren mit, Änderungen habe ich über die Jahre mit angestossen und umgesetzt. Die Philosophie wird bleiben und für die Patienten wird sich nicht viel ändern. Die Administration möchte ich weiter optimieren.
Petra, du gehst seit 20 Jahren regelmässig nach Zermatt. Wie wichtig wird das Wallis in Zukunft?
Eckstein: Ganz wichtig, ich bin viele Jahre zur Heuernte ins Wallis gegangen. In die wunderschöne Natur und in Erinnerung an meine eigene Heimat. In der Gemeinschaft etwas anpacken und bewirken, das bedeutet mir viel. Zermatt heisst auch Auszeit für mich.
Wallisertitsch ist ja nicht gerade der einfachste Dialekt. Ich staune immer wieder, wie wenig ich bei euch beiden übersetzen muss.
Eckstein: Wenn ihr sprecht, klingt es einfach wie Musik, sogar die gröberen Ausdrücke.
Franzen: Bei dir hab ich das Gefühl, dass dein Dialekt angeaargauert ist (lacht).
Sag das bitte nicht meiner Familie. Wir Patienten würden jetzt sehr gerne lesen, dass es die Physiotherapie Eckstein noch mindestens 20 Jahre gibt …
Franzen: Die Philosophie bleibt dieselbe. Wir wollen die Leute unterstützen auf ihrem Weg zur Gesundung, sie begleiten. Das ist auch mein Credo und ich werde die Praxis in Petras Sinn weiterführen. Und es braucht uns: Hände sind wichtig und werden es immer sein. Dann ist die psychologische Unterstützung wichtiger geworden, das Ganzheitliche.
Übergabe-Apéro. Samstag, 26. November, 11 bis 15 Uhr; Physiotherapie Eckstein, Bärenplatz 6, Fahrwangen.