Zukunft beginnt jetzt – wie Klimawandel in der Region aussehen könnte
Region Doktorandin Elena Siegrist aus Seengen zeigt anhand anschaulicher Szenarien, wie sich die Region Lenzburg-Seetal durch den Klimawandel verändern könnte. Für die eindrücklichen wissenschaftlichen Visualisierungen ist das Unternehmen «ikonaut» zuständig.
Ein Spaziergang mit Blick auf den Hallwilersee ist im Moment bei dem schönen Wetter für viele eine willkommene Gelegenheit, etwas Energie zu tanken. Städtischer wirkt eine kleine Wanderung auf den Goffersberg in Lenzburg. Die Idylle wird getrübt, wenn in einem Radiobeitrag von den zu hohen Durchschnittstemperaturen im März die Rede ist. Wie könnte die Landschaft, die uns umgibt, in einigen Jahren aussehen? Diese Frage stellt sich Elena Siegrist, die an der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL für ihre Dissertation am Forschungsprojekt «Klimawandel – Landschaften: die Zukunft nachhaltig gestalten (KLANG)» arbeitet.
Seit März können Interessierte über einen Link auf der Projekt-Webseite die interaktiven 360-Grad-Visualisierungen aufrufen. Dabei werden die Betrachtenden auf zwei virtuelle Spaziergänge mitgenommen: Einer führt Beinwil am See entlang, der andere führt auf den Lenzburger Gofi.
Eine Landschaft in unterschiedlichen Darstellungen
Zunächst erscheint die Landschaft in der Gegenwart. Ein Klick auf den Button «reaktiv» zeigt die Gegend im Jahr 2060 an einem heissen Sommertag. «In dieser Variante besuchen wir eine Landschaft, in der Politik und Gesellschaft nicht vorausschauend, sondern passiv und unkoordiniert auf die Auswirkungen des Klimawandels reagieren und die Treibhausgasemissionen weitgehend unverändert geblieben sind», erklärt die Doktorandin die Darstellung. Zu sehen sind verdorrte Felder, Staub liegt in der Luft, Kühe suchen unter einem Segeltuch Schutz vor der Sonne. Viele abgestorbene Bäume sind zu erkennen. Eine Reihe parkierter Autos am Wegesrand sowie ein überquellender Mülleimer zeugen davon, dass recht viele Menschen unterwegs zum erfrischenden See sind. Trotz Verbotsschild haben sich einige auf einer Wiese ausgebreitet.
Über den Button «proaktiv» gelangt der Betrachtende zu einem anderen Bild. Siegrist merkt dazu an: «In der zweiten Variante lernen wir eine Landschaft kennen, die entstehen könnte, wenn Politik und Gesellschaft gegenüber dem Klimawandel möglichst vorausschauend agieren und den Auswirkungen mit aktiven Anpassungsstrategien und entsprechenden Massnahmen begegnen. In diesem Szenario wird angenommen, dass die Schweiz das Ziel von Netto-null-Treibhausgasemissionen bis 2050 erreicht.» Hier säumen schattenspendende Bäume den Weg, dazu gibt es Blühstreifen mit einheimischen Tierarten. Auch sind viele Velos statt Autos unterwegs. «Zu den Visualisierungen habe ich ausführliche Storylines verfasst, welche ebenfalls über einen Link abgerufen werden können», informiert Elena Siegrist. «Darin geht es beispielsweise um Herausforderungen in der Landwirtschaft – aber auch um die Situation rund um den See, ein nahegelegenes Feuchtgebiet und den Wald.»
Ein Vorhaben mit Pioniercharakter
Zum Vorhaben berichtet die Doktorandin: «Die Projektgruppe Landschaft des Regionalplanungsverbands Lebensraum Lenzburg-Seetal hat sich im Jahr 2024 zu einer Zusammenarbeit mit KLANG entschieden.» Ziel war es, die Klimawandelthematik in das neue Landschaftsentwicklungsprogramm (LEP) der Region zu integrieren. Ein Vorhaben, das mit seiner Weitsicht durchaus Pioniercharakter habe.
In mehreren Workshops fand ein enger Austausch statt. Auch die Orte für die Visualisierungen seien in diesen Arbeitsgruppen gemeinsam ausgesucht worden, erzählt Elena Siegrist. «Wir prüften zusammen mit den wissenschaftlichen Illustratoren von ‹ikonaut›, welche Gebiete sich gut für unser Vorhaben mit der 360-Grad-Darstellung eigneten.» Für die Erstellung der detaillierten Storylines stand sie mit verschiedenen Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Fachbereichen im Austausch.
Elena Siegrist betont: «Die Visualisierungen sind keine absoluten Zukunftsvorhersagen, sondern es geht darum, die Betroffenheit der Region erfahrbar zu machen sowie die lokalen Handlungsspielräume aufzuzeigen.» Oft sei die Problematik Klimawandel abstrakt, geprägt von Zahlen und Tabellen ohne Bezug zur eigenen Lebenswelt. «Mit den Visualisierungen versuchen wir mitunter auch, symbolhaft zu vermitteln, wie sich die Gegenden re- und proaktiv verändern könnten», unterstreicht sie das Vorhaben. «Hier soll nicht Panik geschürt werden. Ein wichtiger Punkt ist einfach: Die Zukunft beginnt jetzt.»
Bei einer Sitzung mit Vertreterinnen und Vertretern der 26 Gemeinden der Projektgruppe Landschaft wurden die Visualisierungen bereits vorgestellt. Nun stehen diese der Region gewissermassen als Instrumente öffentlich zur Verfügung. «Die Rückmeldungen waren positiv», freut sich Elena Siegrist. «Es ergaben sich Gelegenheiten zum Austausch, das war wirklich interessant.» Für sie ist damit die Arbeit an ihrer Dissertation noch nicht beendet. Aktuell setzt sie gemeinsam mit «ikonaut» die Visualisierungen und Storylines für zwei weitere Regionen um: Grünes Band Bern und Unesco-Biosfera Val Müstair.
Hier gehts zu den Illustrationen: wsl.ch/de/projekte/landschaften-im-klimawandel/