Tipp zum Alltag: Entschleunigung

«Setz die Segel und lass dich vom Wind der Gnade über das Meer des Lebens zu neuen Ufern tragen.» Wieso erfolgt ausgerechnet in einer Zeit, in welcher viele nicht einmal die Wohnung verlassen dürfen, eine solche Einladung? Oft ist es schwierig, Veränderungen anzunehmen, zu bequem ist es, alten Routen zu folgen, das Festhängen am bekannten Ufer ist programmiert, das Segel zerfetzt und ohnehin lässt sich das Lebensboot unter all dem Ballast, der aufgeladen wurde und den wir mitschleppen, kaum manövrieren.
Ungewollt eröffnet sich mit der aktuellen Situation eine grosse Chance. Es gilt, Bestehendes zu überdenken, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, weise Entscheide zu fällen und die optimale Welle abzuwarten. Es muss nicht mehr alles sofort sein, möglicherweise erledigt sich einiges sogar von selbst. Erfolgt nicht in vielen Bereichen kaum spürbar eine sanfte Entschleunigung?
Unsere angehäuften Vorlieben und Abneigungen, Hass und Feindseligkeiten, welche wir stets mit uns führen, geraten in den Hintergrund. Begriffe wie Solidarität oder Demut sind in der schweren Zeit erfreulicherweise plötzlich keine Fremdwörter mehr. Der Alltag, auch wenn er in Isolation verbracht werden muss, wird mit Dankbarkeit wieder bewusster wahrgenommen. Der volle Vorratskasten ist nicht mehr Selbstverständlich, Selbstfürsorge und Nachbarschaftshilfe werden offen gelebt.
Tipp: Nutzen wir die Ausnahmesituation als Chance. Viel Ballast wurde eigenhändig aufgeladen und so kann dieser auch wieder über Bord geworfen werden. Der Wind weht immer, doch das Boot muss seetüchtig sein. Flickt das Segel, zieht es auf und stellt es in den Wind, so wird es uns auch diesmal sicher an die gewünschte Küste bringen.
Unter «Tipp zum Alltag» schreiben Jörg Kyburz und Volker Schulte jeweils in der letzten Ausgabe des Monats an dieser Stelle über psychologische Aspekte im Alltag. Die beiden Autoren leiten den CAS-Studienlehrgang Achtsamkeit in Lenzburg.