«Ich habe meinen Beruf keine Minute lang bereut»

Pensionierung Nach 45 Jahren als Redaktor, die letzten fast 7 Jahre als Redaktionsleiter beim Lenzburger Bezirks-Anzeiger (LBA), tritt Fritz Thut Ende dieses Monats in den Ruhestand. Seinem ursprünglich gelernten technischen Beruf hat der Vollblutjournalist keine Träne nachgeweint. Im Interview erzählt er, was ihn am Journalismus fasziniert und was ihm nicht so gefällt.

Kehrt dem Journalismus und dem «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» den Rücken: Redaktionsleiter Fritz Thut wird Ende Monat pensioniert. Foto: Romi Schmid
Kehrt dem Journalismus und dem «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» den Rücken: Redaktionsleiter Fritz Thut wird Ende Monat pensioniert. Foto: Romi Schmid

Morgen ist dein letzter Arbeitstag beim LBA. Wie fühlst du dich beim Übergang ins Rentnerleben?

Fritz Thut: Ich freue mich auf die Zeit mit viel weniger Verantwortung, aber natürlich ist auch eine grosse Portion Wehmut dabei. Vor allem beim Aufräumen des Büros tauchten viele Geschichten wieder auf und weckten Erinnerungen. Immerhin haben sich allein in den fast sieben Jahren beim «LBA» nicht weniger als 19 A5-Bücher angesammelt, in denen ich jeweils meine Notizen festhielt.

Du hast ja ursprünglich einen technischen Beruf gelernt, ihn aber nie ausgeübt. Hast du jemals bereut, zum Journalismus gewechselt zu haben?

Keine Minute. Schon während der Stifti habe ich für das «Aargauer Tagblatt» über den Sportclub Seengen geschrieben. Später folgte die Anfrage der damaligen Redaktoren der Region Lenzburg-Seetal, Heiner Halder und Günter Windfelder, ob ich nicht Interesse hätte, noch mehr zu schreiben und etwa Musikabende und andere Anlässe zu besuchen. Natürlich wollte ich das. Und offensichtlich habe ich meine Sache gut gemacht, so dass man mir ein Volontariat offerierte. Es zeigte sich, dass das für mich der richtige Weg war.

Kannst du dich noch an deinen ersten Artikel erinnern?

Am ersten Tag des Volontariats, das ich von September bis Dezember 1978 im Lokalressort Lenzburg-Seetal absolvierte, wurde ich dazu verknurrt, für die Seite «Tagebuch» (damals die Seite für vermischte Meldungen aus aller Welt) etwas über die Auswirkungen eines Erdbebens auf das Fricktal herauszufinden. Das Beben ereignete sich auf der Schwäbischen Alb, zwischen Stuttgart und Bodensee, und hatte eine Stärke von 5,7. Meine Nachforschungen ergaben allerdings nichts – man hatte im Fricktal nichts davon gespürt. Ein weiterer Artikel während dem Volontariat handelte von einem Bauern, der Möwen abschiessen wollte, was mich zu einem Zusatzartikel über die Lebensweise der Möwen veranlasste. Auch mit einem Kirchenkrach im Seetal musste ich mich befassen.

Das Volontariat war also der eigentliche Start zu deiner Karriere als Journalist. Wie ging es weiter?

Nachher ging es Schlag auf Schlag weiter. Für die erste Festanstellung beim «Aargauer Tagblatt» wurde ich ins Fricktal versetzt. Damals waren die technischen Möglichkeiten noch nicht so fortschrittlich. Die Texte wurden nach Aarau gefaxt und am Abend mussten die Bilder jeweils nach Aarau gebracht werden. Als eine Stelle in der Sportredaktion in Aarau frei wurde, bewarb ich mich und wurde so für rund 20 Jahre erst Sportredaktor, dann Ressortleiter der Sportredaktion. Die anschliessende Rückkehr ins Ressort Lenzburg-Seetal war sozusagen ein «Back to the Roots».

Wie hat sich der Journalismus in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Meiner Meinung nach nicht nur zum Guten. Mich stört je länger, desto mehr, dass in vielen Bereichen und Medien immer nur das Negative gesehen wird und dass vielfach auf die Person gespielt wird. Und diese Entwicklung erfolgte bis auf die Stufe Regionaljournalismus. Ich war deshalb glücklich, dem Tagesjournalismus entfliehen zu können und die letzten Jahre meines Berufslebens beim «LBA zu verbringen. Hier schreibt ein Redaktor nicht nur, sondern er gestaltet ganze Seiten, beeinflusst den Auftritt seines Mediums. Die visuelle Komponente macht diesen Beruf noch interessanter.

Und in technischer Hinsicht?

Im technischen Bereich gab es in den letzten 45 Jahren enorme Veränderungen. Wer weiss zum Beispiel heute noch, was Bleisatz war? Während man heute dank Laptop und Smartphone jederzeit vernetzt ist, war früher die Kommunikation sehr aufwändig. Sportberichte zum Beispiel mussten per Telex übertragen oder am Telefon diktiert werden. Später wurden die Texte von unhandlichen Taschencomputern mit einem Akustik-Koppler in die Redaktionszentrale übermittelt. Aus heutiger Sicht eine «Steinzeit»-Methode.

Was hat dir am Journalismus am besten gefallen?

Ich habe schon immer gerne geschrieben, unabhängig von den Themen. Es ist faszinierend, hinter die Kulissen zu schauen und danach zu erklären, warum was wie gemacht wird, auch in der Region. Die reiche Vielfalt der Themen trägt zur Attraktivität des Berufs bei. Natürlich schreibe ich lieber über ein Thema, das meinen persönlichen Vorlieben entgegenkommt.

Welche Themen mochtest du überhaupt nicht?

Alles Konfrontative hat mich immer gestört. Auch ungerechtfertigte Vorwürfe, denen man dann nachgehen musste. Da geht – nicht nur auf den Redaktionsstuben – viel Energie verloren, was nicht nötig wäre.

Wie hast du das Verhältnis zu Behörden und Firmen erlebt?

Ich hatte zu den allermeisten Behörden- und Auskunftspersonen einen guten Draht. Indem ich sie respektierte, konnte ich ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Eine Pressekonferenz oder einen andern Anlass zu besuchen, ist sicher gut, aber die Gespräche am anschliessenden Apéro sind wichtiger, um Beziehungen zu pflegen.

Gibt es Ereignisse, die dir über die Jahre besonders in Erinnerung geblieben sind?

Im Sport sind es ganz klar die drei Olympischen Sommerspiele, über die ich vor Ort berichten konnte. Das waren Seoul 1988, Barcelona 1992 und Atlanta 1996. In der Region sind mir die Werftbesuche in Deutschland beim Bau der neuesten Hallwilerseeschiffe MS Seetal und MS Delphin in besonderer Erinnerung geblieben.

Gibt es ein Thema, über das du gerne einmal geschrieben hättest, es aber nicht möglich war?

Ich hätte gerne über Olympische Spiele in der Schweiz geschrieben. Im Jahre 2006 hat es ja leider nur fast geklappt. An der 109. IOC-Session in Seoul war ich 1999 vor Ort, als die Spiele Turin und nicht Sion zugesprochen wurden.

Hast du es jemals bereut, diesen Beruf gewählt zu haben?

Ganz klar nein! Im Nachhinein habe ich auch nicht bereut, dass ich immer im gleichen Betrieb geblieben bin. Neben dem Schreiben hat es mir gefallen, zu organisieren, Strukturen zu schaffen und so meine technische Affinität einzubringen.

Wie siehst du die Zukunft des «LBA»?

Wie es jetzt aussieht, ist die Zukunft des «LBA» gewährleistet. Die Leser haben gerne Papier in der Hand. Die Mehrheit der Bürger schätzt die Wochenzeitung, die ihnen die Amtlichen Mitteilungen ins Haus bringt. Wenn die Redaktion zudem Artikel über das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben beisteuert, lohnt sich der donnerstägliche Gang zum Briefkasten auch in Zukunft.

Wie sehen deine Pläne für die nächsten Monate aus?

Konkrete Pläne habe ich nicht. Zuerst werde ich im und ums Haus herum aufräumen, was in den letzten Jahren liegen geblieben ist. Später stehen sicher Reisen auf dem Programm und natürlich werde ich weiterhin klassische Konzerte besuchen. So habe ich mir ein zusätzliches Abo für die «Seetal Classics» besorgt. Weiteren Hobbys – Jassen sowie Kochen und Essen – werde ich selbstverständlich weiterhin frönen. Einige mir angetragene Ämtli habe ich jedoch abgelehnt – mit einer Ausnahme: Ich bin designierter Redaktor der «Lenzburger Neujahrsblätter». Und im «LBA» darf ich weiterhin alle acht Wochen ein «Salzkorn» schreiben.

Persönlich

Fritz Thut, der exakt zu seinem 65. Geburtstag in Pension geht, ist in Seengen aufgewachsen. Seinen Beruf als Fernmelde- und Elektronikapparatemonteur hat er nie ausgeübt, sondern ist 1978 mit einem Volontariat beim «Aargauer Tagblatt» in den Journalismus gestartet. Diesem ist er 45 Jahre lang treu geblieben, wie auch seinem Arbeitgeber. Als Redaktor wirkte er zuerst beim «Aargauer Tagblatt», nach dessen Fusion mit dem «Badener Tagblatt» bei der daraus resultierenden «Aargauer Zeitung» (AZ). Über 20 Jahre lang war er Sportredaktor, dann wechselte er 2002 ins Ressort Lenzburg-Seetal der AZ, bevor er 2017 Redaktionsleiter des «Lenzburger Bezirks-Anzeiger» wurde, der ebenfalls zu CH Media gehört. Fritz Thut hat zwei Söhne und lebt mit seiner Frau Franziska in Seengen. (do)

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