Salzkorn: Sirenenzeit

Melanie Solloso
Melanie Solloso

Der Nordost-Monsun macht sich bei uns als Erstes mit einem Strömungswechsel im Meer bemerkbar. Unsere Lieblingsplätze, wo die Kinder im Sommer baden, entwickeln dann heimtückische Strömungen. Eine weitere Ankündigung der Regenzeit ist der mobile Sirenenalarm. Dieser läuft in den Philippinen automatisch über alle Mobiltelefone des Landes. Das Warnsystem ermöglicht es den Menschen, sich für Starkregen und hohe Windgeschwindigkeiten zu wappnen, das ist überlebenswichtig in einem Land, das jährlich rund zehn Taifune verzeichnet.

Der Alarm hat mich dieses Jahr kalt erwischt und unschöne Erinnerungen geweckt. Seit Supertaifun Odette letzten Dezember waren die Sirenen still geblieben. Taifun Paeng, der Ende Oktober über das Land fegte, setzte sie wieder in Gang. Kalt ist es mir über den Rücken gelaufen, mein Herz agierte prompt, galoppierte wie vor dem Startschuss beim 100-Meter-Lauf und ich vergass ein paar Sekunden zu atmen. Ein Blick aufs Mobiltelefon gab Entwarnung: Sturmwarnung 1, oranger Regenfall. Es gibt fünf Sturmstärken und drei für Starkregen. Regen hört sich für Europäer wenig bedenklich an. Hier sorgt zu viel Niederschlag regelmässig für Schwierigkeiten. Schon die kleinste Warnstufe bedeutet für viele Häuser Wasser im Haus.

Die Chance, dass man im Leben einen Sturm der Stärke 5 erlebt, ist enorm klein, auch für Filipinos, bei welchen Stürme zum Leben dazugehören. Ein Supertaifun ist einmal Hölle und hoffentlich zurück. Im Kopf weiss ich: «Wir hatten einfach Pech.» Das ändert nichts daran, dass Odette Narben hinterlassen hat, bei allen hier. Siargaonons waren Zeugen der entfesselten Zerstörungskraft der Natur und es war furchteinflössend. So merkwürdig es klingen mag, Odette hat aber auch bei vielen hier das Urvertrauen gestärkt. Geblieben ist da diese beruhigende Gewissheit, dass, egal wie dunkel es wird, wieder Licht kommt.

Melanie Solloso,

Siargao Island, Philippinen

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