Salzkorn: Horizonte
Es ist das Buch der Stunde: «Blutbuch» von Kim de l’Horizon. Im Oktober wurde der Roman mit dem Deutschen, im November mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. Der thematisch dichte Text behandelt unter anderem Fragen der Identität, es geht darum, was von Generation zu Generation weitergegeben wird, über was gesprochen und über was geschwiegen wird. In der Berichterstattung zu den beiden Preisverleihungen wurde meist der Aspekt in den Mittelpunkt gestellt, dass sich die Ich-Erzählfigur des Romans wie auch die Autorenperson weder als männlich noch als weiblich, sondern als nonbinär identifizieren.
Nonbinäre Geschlechtsidentifikation ist ein Thema, welches noch nicht lange in der Öffentlichkeit sichtbar ist. Unbekanntes kann Verunsicherung auslösen, da gewohnte Strukturen aufgelöst werden. Das langsame Aufbrechen des starr binären Geschlechterverständnisses führt zu Reaktionen, die von einer öffentlich geäusserten Abwertung nonbinärer Menschen durch ein amtierendes Mitglied des Bundesrates bis zu Hasskommentaren und Drohungen gegen Kim de l’Horizon reichen.
Solche Kommentare sind Ausdruck eines tief verankerten strukturellen Problems. Queerfeindlichkeit ist auch heute noch und auch bei uns in der Schweiz eine Realität. Dabei sind queere Menschen einzig aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung von verbaler oder physischer Gewalt betroffen.
Begegnen kann eine Gesellschaft diesem Problem, indem unermüdlich weiter informiert wird, indem mutige Menschen öffentlich für mehr Sichtbarkeit einstehen und damit Berührungsängste abbauen. Und genau deshalb sind die Auszeichnungen für den Roman «Blutbuch» so bedeutend, denn sie zeigen, was Literatur ist und kann: Einblicke in unterschiedliche Lebensrealitäten ermöglichen, Verständnis schaffen und den Horizont erweitern.