Es bleibt wie es ist: Weniger ist mehr
Ich suche gerne das Schöne im Kleinen und Normalen. Tugendhaftigkeiten wie Bescheidenheit und Genügsamkeit brauchen Disziplin. Doch sie sind lehr- und lernbar. Es braucht nicht viel Trara, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Weniger ist mehr. So war ich vor einigen Wochen von Künstler Fritz Huser eingeladen. Er feierte eine Vernissage. 10 Minuten Laudatio, danach Wein und selbstgemachte Apéro-Häppchen. Keine Performance-Art, keine Lichtershow. Kurz, prägnant, herzlich und einfach gut.
Vergangenes Wochenende wurde in Seon die Aabachbrücke eingeweiht. Die wohl wichtigste Verbindungsbrücke des Seetals ist nicht nur für die Gemeinde wichtig. Tatsächlich ist es so, dass diese unscheinbare Konstruktion von kantonaler und überkantonaler Bedeutung und Wirksamkeit ist. Wie weihte man die Brücke ein? Spiel der Musikgesellschaft, Ansprache des Gemeinderates, Verdankungen und ein Geissbock wurde über die Brücke geführt – anders als bei der Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht wartete auf der anderen Seite der Brücke nicht der Teufel mit Felsbrocken, sondern ein Apéro. Bis auf weiteres bleibt Seon somit teufel- und felssturzfrei. Es war eine schöne Einweihung. Doch ich musste schmunzeln. Sprang ich mit meinen Gedanken doch von der Einweihung der Brücke zur Einweihung des Gotthard-Basistunnels. An diese Einweihung erinnere ich mich bei fast jeder Eröffnung, der ich beiwohne. Wissen Sie noch, 2016? Die Welt schaut auf die Schweiz – und diese liefert. Sie lieferte den überdimensioniertesten Kokolores, den ich wohl jemals gesehen habe. Performances, die an Sexszenen erinnerten, ein barbusiger Engel mit Babymaske, Zombies. Man liess keine Chance aus, sich zu blamieren. Auch hier wäre gutschweizerische Bescheidenheit wohl besser gewesen. Mir gefielen Fritz Huser und die Einweihung der Seetalbrücke besser. Zugegeben, der Vergleich ist ein wenig gewagt, aber die Botschaft bleibt: Weniger ist mehr.
Rinaldo Feusi
Redaktionsleiter